Leitsatz (amtlich)

1. Die in der EuGVVO (hier: Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO) geregelten örtlichen Zuständigkeiten müssen im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zwingend beachtet werden.

2. Ein Gericht, bei dem keiner der zu verklagenden Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, kann entgegen dem Wortlaut von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ausnahmsweise als zuständig bestimmt werden, wenn es dem Antragsteller ansonsten verwehrt wäre, die Streitgenossen gemeinschaftlich zu verklagen und nicht überwiegende Interessen der Antragsgegner entgegenstehen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 7 O 570/05)

 

Tenor

Das LG Berlin wird für den dort anhängigen Rechtsstreit - 7 O 570/05 - insoweit als das örtlich zuständige Gericht bestimmt, als sich die Klage auch gegen die Antragsgegnerin zu 2) richtet.

 

Gründe

I. Der in Berlin wohnhafte Antragsteller schloss bei der in London ansässigen Antragsgegnerin zu 1) mehrere Lebensversicherungsverträge ab. Die Verträge wurden jeweils von der Antragsgegnerin zu 2) vermittelt, die als offizielle Vertriebspartnerin britischer Versicherungsunternehmen für den gesamten deutschen Markt auftritt und ihren Sitz in Rheine (Westfalen) hat. Mit der beim LG Berlin anhängigen Klage nimmt der Antragsteller die Antragsgegnerinnen gesamtschuldnerisch wegen Nichterfüllung des Versicherungsvertrags bzw. Falschberatung auf Schadensersatz in Anspruch. Nach einem Hinweis des angerufenen Gerichts auf seine örtliche Unzuständigkeit bezüglich der Antragsgegnerin zu 2) beantragt der Antragsteller, das LG Berlin gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als zuständiges Gericht zu bestimmen.

II.1. Das KG ist für den Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichtes gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zuständig, da die für eine Zuständigkeitsbestimmung in Betracht kommenden Gerichtsstände in den Bezirken verschiedener OLG liegen und das zum hiesigen Bezirk gehörende LG zuerst mit der Sache befasst war (§ 36 Abs. 2 ZPO).

2. Die für eine Gerichtsstandsbestimmung bei Sachverhalten mit Auslandsbezug notwendige internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte (vgl. Vossler, NJW 2006, 117 [119]) ist bezüglich beider Antragsgegnerinnen gegeben. Für die Antragsgegnerin zu 2), die Ihren Sitz in Deutschland hat, ergibt sich diese bereits aus Art. 2 Abs. 1 EuGVVO. Für die in Großbritannien ansässige Antragsgegnerin zu 1) folgt die internationale Zuständigkeit aus Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO. Nach der genannten Vorschrift kann ein Versicherer, der seinen Sitz in einem Mitgliedstaat hat, in einem anderen Mitgliedstaat vor den Gerichten am Wohnort des Versicherungsnehmers verklagt werden.

3. Die sachlichen Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen ebenfalls vor. Die Beklagten sind Streitgenossen i.S.v. §§ 59, 60 ZPO, da sie aus dem gleichen tatsächlichen und rechtlichen Grund als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden. Entsprechend ihren unterschiedlichen Wohn- bzw. Geschäftssitzen haben die Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand bei verschiedenen Gerichten (§§ 12, 13, 17 ZPO).

Ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand ist ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich dieser nicht aus Art. 6 Nr. 1 EuGVVO. Zwar kann auch die Möglichkeit einer Klage an dem dort geregelten Gerichtsstand der Streitgenossenschaft einer Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO entgegenstehen (vgl. BayObLG InVo 1999, 396). Allerdings ist die Vorschrift im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil die Zuständigkeit für Versicherungs- Verbraucher- und Arbeitssachen im 3. bis 5. Abschnitt der EuGVVO abschließend geregelt ist (Kropholler, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl., Art. 6 EuGVVO Rz. 3). Darüber hinaus scheidet auch Art. 9 Abs. 1 lit. c EuGVVO als gemeinschaftlicher besonderer Gerichtstand aus, da die Antragsgegnerin zu 2) nicht als Mitversicherer, sondern als Versicherungsvermittler in Anspruch genommen wird. Ob die Antragsgegner gemeinsam vor einem ausländischen Gericht verklagt werden könnten, kann offen bleiben, da dies einer Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht entgegenstünde (BayObLG v. 12.12.1989 - AR 1 Z 138/89, NJW-RR 1990, 893 [894]).

4. Aus prozessökonomischen Gründen, welche für die Auswahl des zuständigen Gerichts maßgebend sind, erscheint vorliegend die Bestimmung des LG Berlin zweckmäßig und geboten. Dem steht nicht entgegen, dass keine der Antragsgegnerinnen dort ihren allgemeinen Gerichtsstand hat. Zwar ergibt sich aus dem Wortlaut von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, der von einer Klageerhebung an dem allgemeinen Gerichtsstand ausgeht, dass grundsätzlich ein Gericht zu bestimmen ist, bei dem mindestens ein Antragsgegner seinen Wohn- oder Geschäftssitz (§§ 12, 13, 17 ZPO) hat (BGH v. 9.10.1986 - I ARZ 487/86, MDR 1987, 209 = NJW 1987, 439; OLG Hamm v. 12.1.2000 - 1 Sbd 98/99, NJW 2000, 1347; Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 36 Rz. 22; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 36 Rz. 31).

Allerdings sind in der Rechtsprechung seit langem Ausnahmen von ...

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