Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenentscheidung im Sorgerechtsverfahren: Kostenerhebung für ein physiopsychologisches Gutachten unter Verwendung eines Polygraphentests
Leitsatz (amtlich)
Zur Nichterhebung der Kosten (§ 16 KostO) eines Polygraphentests (sog. Lügendetektor) im Sorgerechtsverfahren.
Normenkette
KostO § 16
Verfahrensgang
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 09.07.2010; Aktenzeichen 139 AR 52/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss des AG Tempelhof-Kreuzberg vom 9.7.2010 wird zurückgewiesen.
Gründe
Das Rechtsmittel des Bezirksrevisors ist gem. § 14 Abs. 3 KostO zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das AG hat mit Recht die Kostenrechnung um die Kosten für das Gutachten des Sachverständigen... reduziert.
Diese Kosten können gem. § 16 KostO nicht gegen den Vater angesetzt werden, da sie durch unrichtige Sachbehandlung verursacht und bei richtiger Sachbehandlung durch das Gericht nicht entstanden wären. Eine unrichtige Sachbehandlung in diesem Sinn liegt dann vor, wenn das Gericht gegen eindeutige gesetzliche Vorschriften verstoßen hat und dieser Verstoß offen zutage tritt (vgl. z.B. OLG Brandenburg FamRZ 2004, 1662; Hartmann, Kostengesetze 40. Aufl., § 16 KostO Rz. 4). Dies gilt auch für die Kosten einer Beweisaufnahme, die gesetzwidrig (BayObLG JurBüro 1999, 377), ersichtlich überflüssig (OLG Brandenburg FamRZ 2004, 1662; OLG Karlsruhe FamRZ 1990, 1367) oder mit untauglichen Mitteln durchgeführt wird. Um eine solche Beweisaufnahme handelt es sich - auch zum Zeitpunkt der Beweisanordnung im Dezember 2003 deutlich erkennbar - bei dem Gutachten des Sachverständigen... .
Der Sachverständige hat aufgrund des Beweisbeschlusses des AG ein physiopsychologisches Gutachten unter Verwendung eines Polygraphentests (sog. Lügendetektor) erstellt. Zutreffend hat das AG festgestellt, dass es sich dabei um ein untaugliches Beweismittel handelt. Der 1. Strafsenat des BGH hat bereits mit Urteil vom 17.12.1998 die polygraphische Untersuchung mittels Kontrollfragentest, wie sie auch hier durchgeführt wurde, mit ausführlicher Begründung und nach Einholung mehrerer Sachverständigengutachten als völlig ungeeignetes Beweismittel i.S.d. § 244 Abs. 3 StPO angesehen, da ihr keinerlei Beweiswert zukomme (BGHSt 44, 308). Da das Kontrollfragenverfahren konzeptionell nicht abgesichert und seine Funktionsweise nicht belegbar sei, komme einem unter seiner Verwendung gewonnenen Ergebnis grundsätzlich weder ein Beweiswert noch auch nur eine "(minimale) indizielle Bedeutung" zu.
Dem hat sich der 3. Strafsenat des BGH mit Urteil vom 10.2.1999 (NStZ-RR 2000, 35) angeschlossen. Für den Zivilprozess ist eine abweichende Beurteilung ebenso wenig gerechtfertigt (BGH NJW 2003, 2527) wie für ein Sorgerechtsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (OLG Bremen, Beschl. v. 28.5.2001 - 5 UF 70/00, juris). Abweichende Entscheidungen, die einen Polygraphentest zur Entlastung in Sorgerechts- und Umgangssachen als zulässig erachtet haben (vgl. OLG München FamRZ 1999, 674; OLG Oldenburg, Beschl. v. 15.6.1998 - 4 UF 60/96, juris), stammen aus der Zeit vor Erlass des Urteils des BGH vom 17.12.1998. Wenn ein Beweismittel aus tatsächlichen, wissenschaftlich belegten Gründen als für die Beweisführung im Strafprozess ungeeignet angesehen wird, gilt dies in gleicher Weise für die Beweisführung im Zivilprozess und im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. BGH NJW 2003, 2527). Insbesondere die vom BGH im Urteil vom 17.12.1998 näher begründeten Gesichtspunkte, dass eine erhebliche Gefahr der Fehlinterpretation der Testergebnisse besteht und das von dem Sachverständigen gewonnene Ergebnis für das Gericht nicht überprüfbar ist, stehen einer Eignung auch in diesen Verfahren entgegen. Ein solches Gutachten ist daher auch zu einer Entlastung des Probanden nicht geeignet; die Entscheidung des BGH vom 17.12.1998 ist auf die Revision des Angeklagten ergangen, der den Polygraphentest zu seiner Entlastung beantragt hatte.
Aus dem Akteninhalt ergibt sich nicht, dass das AG von dieser Rechtsprechung bewusst aufgrund vertretbarer anderer Rechtsauffassung abgewichen ist, was ggf. der Nichterhebung entgegenstehen würde. Vielmehr hat es nach Hinweis auf diese Rechtsprechung erklärt, das Gutachten nicht verwerten zu wollen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, § 14 Abs. 7 KostO.
Fundstellen
Haufe-Index 2524599 |
JurBüro 2011, 212 |
RVGreport 2011, 318 |
PAK 2012, 1 |