Leitsatz (amtlich)
Die Feststellung eines nach § 315c StGB tatbestandlichen Gefährdungsschadens erfordert zwei Prüfschritte: Zunächst ist zu fragen, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert gehandelt hat. Wird dies bejaht, so ist weiter zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der allein maßgebliche "überschießende" Gefährdungsschaden.
Befassen sich die Urteilsgründe entgegen § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO nicht mit der vom Verteidiger beantragten Möglichkeit der Verwarnung mit Strafvorbehalt, so liegt eine mit der Verfahrensrüge geltend zu machende Verletzung dieser Vorschrift auch dann vor, wenn das sachliche Recht die Prüfung des § 59 StGB keinesfalls nahelegt (Anschluss OLG Hamm Beschlüsse vom 4. September 2008 - 3 Ss 370/08 - und vom 9. November 1985 - 4 Ss 1328/85 -).
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 01.11.2023; Aktenzeichen (295 Ls) 253 Js 619/23 (4/23)) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 1. November 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit versuchter Sachbeschädigung (Fall 1) sowie wegen Nötigung in Tateinheit mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (Fall 2) zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 70 Euro verurteilt und gegen ihn ein sechsmonatiges Fahrverbot verhängt, das durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgegolten war. Nach den Urteilsfeststellungen wollte der infolge einer Blutalkoholkonzentration von zumindest 0,61 Promille (relativ) fahrunsichere Angeklagte am Tattag ausparken, wobei er gegen einen hinter ihm parkenden PKW stieß. Von der anwesenden Fahrerin dieses Fahrzeugs angesprochen, soll der Angeklagte erwidert haben, sie sei selbst schuld, wenn sie so "bescheuert und so nah" parke. Hiernach soll der Angeklagte, nunmehr mit bedingtem Schädigungsvorsatz, noch zwei weitere Male gegen das Fahrzeug gefahren sein, ohne dass es durch einen der Anstöße zu einem Schaden gekommen sei. In einer neuen selbstständigen Tat soll der Angeklagte, seine Fahrunsicherheit sorgfaltswidrig missachtend, nach dem Ausparken auf eine mit ihrem Kleinkind auf der Fahrbahn stehende Zeugin zugefahren sein, um diese zu einem ruckartigen Verlassen der Fahrbahn zu veranlassen.
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat in Bezug auf den Schuldspruch mit der allgemeinen Sachrüge und zudem hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs mit einer ausgeführten Verfahrensrüge Erfolg.
1. Allerdings besteht auch in Bezug auf die Verurteilung wegen versuchter Sachbeschädigung kein Verfahrenshindernis. Zwar teilt der Senat die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, dass die insoweit Geschädigte ihren zunächst gestellten Strafantrag mit der Äußerung, sie stelle keinen Strafantrag, in der Hauptverhandlung zurückgenommen hat (Bd. I Bl. 157). Die Generalstaatsanwaltschaft hat jedoch in ihrer Zuschrift das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Diese Erklärung war auch noch in der Revisionsinstanz möglich (vgl. BGHR § 303c StGB, öffentliches Interesse, 1; Fischer, StGB 71. Aufl., § 303c Rn. 7), weshalb sie wirksam ist.
2. Der Senat überprüft das angefochtene Urteil sowohl im Schuld- als auch im Rechtsfolgenausspruch. Die Einschätzung der Generalstaatsanwaltschaft, der Angeklagte habe die Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, teilt der Senat nicht. Eine solche Beschränkung ist nicht erklärt worden, und sie ergibt sich auch nicht durch Auslegung. Bereits nach dem Wortlaut ist die Revision unbeschränkt eingelegt worden. Der Revisionsführer beantragt zudem, das Urteil "mitsamt den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben" und die Sache zurückzuverweisen. Er rügt - ohne erkennbare Begrenzung - "die Verletzung sachlichen Rechts". Schließlich beanstandet er die Verletzung des § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO, wobei die weiteren Ausführungen belegen, dass es sich um eine die Rechtsfolgen betreffende Verfahrensrüge handelt (dazu unten 4). Der Umstand, dass sich die einzig ausgeführte Rüge auf die Rechtsfolgen bezieht, gibt keinen Anlass dazu, von einer auf diese beschränkte Revision auszugehen. Hiergegen sprechen sowohl der unbeschränkt gestellte Antrag als auch die allgemein und damit gleichfalls nicht beschränkt erhobene Sachrüge.
3. Die allgemeine Sachrüge dringt durch, weil die Feststellungen den zum Fall 1 getroffenen Schuldspruch der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB) nicht tragen. Sie belegen nicht, dass der Angeklagte die Tat vorsätzlich begangen hat (a), und sie zeigen auch nicht auf, dass einer fremden Sache von bedeutendem Wert ein bedeutender Schaden gedroht hat (b).
a) Das Amtsgericht hat ...