Leitsatz (amtlich)
1) Wird im Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat des OLG/KG der Vergabenachprüfungsantrag zurückgenommen, so verliert der angegriffene Beschluss der Vergabekammer automatisch seine Wirkung hinsichtlich der Hauptsache und der Kostengrundentscheidung; hinsichtlich der Festsetzung der Verfahrensgebühr und des Ausspruchs über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten bleibt der Beschluss wirksam. Ebenfalls automatisch unwirksam wird die Entscheidung des Vergabesenats im Verfahren über den Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB, mit dem die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde einstweilen bis zur Entscheidung über den Antrag verlängert wurde.
2) Seit der Vergaberechtsnovelle 2009 hat der Antragsteller bei Rücknahme seines Vergabenachprüfungsantrages neben den Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer (Gebühren und Auslagen der Staatskasse) und den Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers und Antragsgegners, auch die notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu seiner zweckentsprechenden Rechtsverfolgung vor der Vergabekammer zu tragen; die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen im Beschwerdeverfahren hat der Antragsteller zu tragen, wenn der Beigeladene einen Sachantrag gestellt oder das Verfahren wesentlich gefördert hat.
3) Bei der Streitwertberechnung nach § 50 Abs. 2 GKG sind in zeitlicher Hinsicht etwaige Vertragsverlängerungsoption in voller Höhe einzubeziehen.
Verfahrensgang
Vergabekammer des Landes Berlin (Beschluss vom 23.03.2010; Aktenzeichen VK-B1-05/10) |
Tenor
1. Der Beschluss der Vergabekammer des Landes Berlin, 1. Beschlussabteilung, vom 23.3.2010 - VK-B1-05/10 - ist in Ziff. 1, 2 und 4 seines Entscheidungstenors wirkungslos.
Der Beschluss des Senats v. 19.4.2010 - 2 Verg 4/10 - ist ebenfalls unwirksam.
2. Das Vergabenachprüfungsverfahren wird eingestellt.
3. a) Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer (Gebühren und Auslagen der Staatskasse) sowie die notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu seiner zweckentsprechenden Rechtsverfolgung vor der Vergabekammer hat die Antragstellerin zu tragen; im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
b) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie des Verfahrens über den Antrag gem. § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin und des Antragsgegners, hat die Antragstellerin zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat die Antragstellerin ebenfalls zu tragen.
4. Der Streitwert wird im Beschwerdeverfahren wie im Verfahren über den Antrag gem. § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB auf jeweils bis zu 320.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1.a) Nachdem die Antragstellerin den Vergabenachprüfungsantrag zurückgenommen hat, ist der angefochtene Beschluss der Vergabekammer in analoger Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO insofern unwirksam geworden, als der Beschluss auf dem Antrag beruht. Dies sind die Entscheidung zur Hauptsache (Ziff. 1 des Beschlusstenors) und die Kostengrundentscheidungen (Ziff. 2 und 4 des Beschlusstenors); ersteres deshalb, weil die Vergabekammer nur auf Antrag zur Entscheidung in der Hauptsache befugt ist; letzteres deshalb, weil die - zwar amtswegig zu erlassende - Kostengrundentscheidung in der Sache gem. § 128 GWB von der Entscheidung in der Hauptsache abhängt (im Ergebnis ebenso: BGH, ZfBR 2009, 487, Rz. 11 zit. nach Juris; Summa in Heiermann/Zeiss/Kullack/Balufuß, Vergaberecht, 2. Aufl. 2008, § 128 Rz. 38 und 40; a.A. noch OLG Dresden OLGReport Dresden 2007, 249). Hingegen verliert die Festsetzung der Verfahrensgebühr (Ziff. 3 des Beschlusstenors) und der Ausspruch über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten (Ziff. 5 des Beschlusstenors) nicht ihre Wirkung, weil beide Entscheidungen weder formal die Stellung eines Hauptsacheantrages voraussetzen noch inhaltlich von der Hauptsacheentscheidung abhängen. Soweit der Beschluss der Vergabekammer unwirksam geworden ist, hat dies der Senat aus Gründen der Rechtssicherheit deklaratorisch ausgesprochen.
Im Übrigen wurden die Festsetzung der Verfahrensgebühr und der Ausspruch über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten nicht im Beschwerdeverfahren angegriffen, so dass auch aus diesem Gesichtspunkt kein Anlass besteht, über die etwaige Aufhebung dieser Teile der Entscheidung des Vergabekammer zu entscheiden.
b) Infolge der Rücknahme des Vergabenachprüfungsantrages ist ferner der Beschluss des Senats vom 19.4.2010, mit dem die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde einstweilen bis zur Entscheidung über den Antrag gem. § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB verlängert wurde, unwirksam.
Dies folgt aus dem Umstand, dass eine einstweilige Entscheidung ihrer Natur gemäß stets nur bis zum Abschluss des Verfahrens über den Hauptantrag Bestand hat. Die Unwirksamkeit des Beschlusses hat der Senat - auf Wunsch des Antragsgegners - wiederum deklaratorisch aus Gründen der Rechtssicherheit ausgesprochen.
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