Leitsatz (amtlich)
Bei einem in einem Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union handelt es sich nicht um ein die Gebührenermäßigung nach Nr. 1211 KV-GKG ausschließendes anderes Urteil.
Normenkette
KV-GKG Nr. 1211
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 80 AR 130/20) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 30.12.2020 - 80 AR 130/20 - wie folgt abgeändert:
Auf die Erinnerung der Klägerin wird der Kostenansatz der Kostenbeamtin des Landgerichts Berlin vom 13.08./14.10.2020 (Kassenzeichen ...; Sollstellung zum 19.10.2020) dahingehend abgeändert, dass die Verfahrensgebühr lediglich mit 1,0 in Ansatz zu bringen ist (Nr. 1210 und 1211 KV-GKG) und der Endbetrag 109.761,00 Euro (109.736,00 Euro + 25,00 Euro) lautet.
2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
A. Die Klägerin hat mit ihrer am 14.12.2015 beim Landgericht Berlin eingereichten Klage insbesondere die Feststellung begehrt, dass die Beklagte ihr zum Schadensersatz verpflichtet sei. Mit Beschluss vom 09.05.2017 (Bl. III 111 d. A.) hat das Landgericht "den Rechtsstreit" ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) die in dem Beschluss näher bezeichneten Fragen zur Vorabentscheidung (Art. 267 Abs. 2 AEUV) vorgelegt. Über diese Vorlage hat der Gerichtshof mit Urteil vom 12.09.2019 - C-299/17 - entschieden. In der sodann anberaumten mündlichen Verhandlung vom 04.06.2020 vor dem Landgericht Berlin hat die Klägerin den Verzicht i. S. von § 306 ZPO (Bl. IV 88 d. A.) erklärt, woraufhin das Landgericht Berlin am selben Tage ein Verzichtsurteil verkündet hat, in welchem es die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt hat. Mit Beschluss vom 21.09.2020 (Bl. IV 100 d. A.) hat es den Streitwert auf 30.000.000,00 Euro festgesetzt.
Unter dem 13.08./14.10.2020 hat das Landgericht die Schlusskostenrechnung (Kassenzeichen ...) erstellt und unter anderem eine Verfahrensgebühr von 3,0 (Nr. 1210 KV-GKG) angesetzt. Mit Schriftsatz vom 04.11.2020 (Bl. IV 106 d. A.) hat die Klägerin gegen die Kostenrechnung Erinnerung eingelegt und "beantragt", die Gebühr gem. Nr. 1210 KV-GKG auf 1,0 zu ermäßigen und dieses Begehren unter Hinweis auf Nr. 1211 Nr. 2 KV-GKG begründet. Ferner hat die Klägerin sich gegen den in der Kostenrechnung ebenso enthaltenen Ansatz in Höhe von 25,00 Euro gem. Nr. 9014 KV-GKG gewendet.
Zu der Erinnerung hat die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Berlin mit Schreiben vom 18.11.2020 (Bl. IV 112, 128 d. A.) Stellung genommen; auf dieses hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 18.12.2020 (Bl. IV 117 d. A.) erwidert.
Mit Beschluss vom 30.12.2020 - 80 AR 130/20 - hat das Landgericht Berlin die Erinnerung der Klägerin zurückgewiesen.
Gegen diesen - formlos übermittelten - Beschluss wendet die Klägerin sich mit ihrer am 31.03.2021 beim Landgericht eingegangenen - und sogleich mit einer Begründung versehenen - Beschwerde vom selben Tage (Bl. IV 165 d. A.) und rügt, dass die Verfahrensgebühr auf 1,0 ermäßigt sei; gegen den Kostenansatz zu Nr. 9014 KV-GKG wendet die Klägerin sich darin nicht mehr. Dieser Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 05.05.2021 nicht abgeholfen und die Sache dem Kammergericht zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Beschluss vom 11.08.2021 ist das Verfahren gem. § 66 Abs. 6. S. 2 GKG auf den Senat zur Entscheidung übertragen worden.
B. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I. Die Beschwerde der Klägerin ist gem. § 66 Abs. 2 S. 1 GKG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Klägerin als Entscheidungsschuldnerin i. S. von § 29 Nr. 1 GKG Kostenschuldnerin und damit erinnerungs- und beschwerdeberechtigt (vgl. Toussaint in: Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl. 2021, § 66 GKG Rn. 7, 35).
II. Die Beschwerde ist begründet. Die Verfahrensgebühr (Nr. 1210 KV-GKG) hat sich gem. Nr. 1211 Nr. 2 KV-GKG auf 1,0 ermäßigt. Dies führt - ausgehend von dem festgesetzten Streitwert - zu einer Gebühr in der im Tenor genannten Höhe.
1. Gemäß Nr. 1211 KV-GKG tritt eine Reduzierung der 3,0-Gebühr (Nr. 1210 KV-GKG) auf 1,0 unter anderem dann ein, wenn das gesamte Verfahren durch Verzichtsurteil beendet wird. Dies ist hier der Fall. Durch das Verzichtsurteil vom 04.06.2020 wurde der gesamte Rechtsstreit beendet.
2. Die Gebührenreduzierung ist gem. Nr. 1211 a. E. KV-GKG ausgeschlossen, wenn dem Verzichtsurteil ein anderes als eines der in Nummer 2 genannten Urteile, eine Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer Sicherungsanordnung oder ein Musterentscheid nach dem KapMuG vorausgegangen ist.
Daran fehlt es hier. Insbesondere handelt es sich bei dem Urteil des Gerichtshofes vom 12.09.2019 - C-299/17 - nicht um ein die Gebührenermäßigung ausschließendes anderes Urteil.
a) Die Frage, ob auch Urteile des Gerichtshofes, die auf ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV ergehen, von Nr. 1211 a. E. KV-GKG erfasst werden, wird von dem Wortlaut der Vorschrift nicht ausdrücklich beantw...