Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 09.07.2010; Aktenzeichen 517 Qs 87/10) |
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 22.03.2010; Aktenzeichen (257 Ds) J 15/126 PLs 2990/05 (535/05)) |
Tenor
Der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 9. Juli 2010 wird aufgehoben, soweit in ihm der Antrag des Verurteilten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen wurde.
Der Verurteilte wird in die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 22. März 2010 wiedereingesetzt.
Der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 9. Juli 2010 ist gegenstandslos, soweit die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 22. März 2010 verworfen wurde.
Die Kosten der Wiedereinsetzung hat der Verurteilte zu tragen.
Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Rechtsmittels und die im Beschwerderechtszug entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin bildete mit Beschluß vom 22. März 2010 aus mehreren gegen den Beschwerdeführer verhängten Strafen gemäß § 460 StPO eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. In dem hierfür die Zuständigkeit bestimmenden Verfahren 257 Ds 535/05 war dem Beschwerdeführer ein Pflichtverteidiger bestellt worden. Diese Bestellung ist bis heute nicht aufgehoben worden.
Den Beschluß vom 22. März 2010 hat das Amtsgericht Tiergarten nach § 40 StPO öffentlich zugestellt, weil der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt unbekannten Aufenthalts war. Eine Unterrichtung des Verteidigers oder eine Zustellung an ihn unterblieb, weil das Amtsgericht Tiergarten von einer Beendigung der Pflichtverteidigung mit rechtskräftigem Verfahrensausgang ausging.
Am 14. Mai 2010 wurde dem nunmehr wieder postalisch erreichbaren Verurteilten auf Anordnung der zuständigen Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft Berlin die Ladung zum Strafantritt durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt, wobei eine Ausfertigung des zugrundeliegenden Beschlusses vom 22. März 2010 beigefügt wurde.
Am 24. Mai 2010 legte der Verteidiger des Verurteilten für ihn sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß ein und beantragte gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist. Durch Beschluß vom 9. Juli 2009 verwarf das Landgericht den Wiedereinsetzungsantrag und die sofortige Beschwerde als unzulässig, weil die Wiedereinsetzungsfrist von einer Woche nach Wegfall des Hindernisses nicht eingehalten worden sei, da die Zustellung (der Ladung zum Strafantritt) bereits am 14. Mai 2010 erfolgt sei und der Verurteilte seit diesem Tage Kenntnis von dem gegen ihn ergangenen Beschluß gehabt habe.
Mit seiner sofortigen Beschwerde wendet sich der Verurteilte gegen den Beschluß des Landgerichts vom 9. Juli 2010, soweit durch diesen der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Gesamtstrafenbeschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 22. März 2010 verworfen wurde.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Die sofortige Beschwerde ist nach § 46 Abs. 3 StPO zulässig und fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Landgericht hätte den Antrag auf Wiedereinsetzung nicht als unzulässig verwerfen dürfen.
Mangels wirksamer Zustellung des Beschlusses des Amtsgerichts Tiergarten vom 22. März 2010 hat die Frist des § 311 Abs. 2 StPO nicht zu laufen begonnen. Die vom Amtsgericht Tiergarten am 22. März 2010 angeordnete öffentliche Zustellung des Gesamtstrafenbeschlusses vom selben Tag war nicht zulässig. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts gilt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für die im Erkenntnisverfahren unterlassene nachträgliche Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 460 StPO, § 55 StGB fort, weil in die Rechtskraft der ursprünglichen Entscheidung eingegriffen und eine erneute Strafzumessung ausgeübt wird. Die Bestellung endet auch nicht mit erneuter Bevollmächtigung des Verteidigers, hierzu bedürfte es in entsprechender Anwendung des § 143 StPO zunächst einer Zurücknahme der Bestellung. Nur dann würde der Rechtsanwalt wieder als Wahlverteidiger tätig. Es hätte somit gemäß § 145a Abs. 1 StPO die Möglichkeit bestanden, die Zustellung an den Verteidiger zu bewirken (vgl. KG, Beschluß vom 12. April 1999 - 3 Ws 184/99 - juris -; OLG Bamberg, StV 1985, 140).
Auch eine nachträgliche Heilung der Zustellung ist hier nicht erfolgt. Zwar ist nach § 189 ZPO in Verbindung mit § 37 Abs. 1 StPO von einer Heilung eines Zustellungsmangels auszugehen, wenn dem Adressaten das zuzustellende Schriftstück tatsächlich zugeht. Dafür reicht jedoch eine formlose Übersendung durch eine für die Zustellung jenes Beschlusses nicht zuständige Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft nicht aus, weil das so übersandte, lediglich inhaltsgleiche Schriftstück nicht mit Zustellungswillen des Gerichtes zugeht (...