Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 09.11.2005; Aktenzeichen 511 Qs 209/05) |
LG Berlin (Aktenzeichen (214) 60 Js 750/98 (77/99)) |
Tenor
1.
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 9. November 2005 aufgehoben.
2.
Dem Verurteilten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 21. Juli 2004, mit dem die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen worden ist, gewährt.
3.
Dem Verurteilten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den vorbezeichneten Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten gewährt.
4.
Der Verurteilte ist unverzüglich aus der Strafhaft zu entlassen.
5.
Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschwerdeführer dadurch entstanden notwendigen Auslagen zu tragen. Die Kosten der Wiedereinsetzung hat der Verurteilte selbst zu tragen.
Gründe
Das erweiterte Schöffengericht Tiergarten verurteilte den Beschwerdeführer am 14. Juli 2000, rechtskräftig seit dem 22. Juli 2000, im wesentlichen wegen Betruges und versuchten Betruges in insgesamt 31 Fällen, größtenteils in Tateinheit mit Urkundenfälschung begangen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit bemaß es auf drei Jahre. Dem Verurteilten gab das Gericht auf, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten und sich der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers zu unterstellen. Am 2. Juni 2003 verlängerte das Amtsgericht die Bewährungszeit um ein Jahr bis zum 21. Juli 2004, weil der Beschwerdeführer am 21. Mai 2002 einen Ladendiebstahl begangen hatte.
Weil der ausweislich des Berichts des Bewährungshelfers vom 18. Juni 2003 beruflich im Ausland weilende Verurteilte trotz mehrerer Mahnungen seit Ende 2002 den zuvor recht guten Kontakt zum Bewährungshelfer abgebrochen hatte, widerrief das Amtsgericht mit Beschluß vom 21. Juli 2004 die Strafaussetzung. Nachdem der Bewährungshelfer dem Gericht mitgeteilt hatte, weder ihm noch dem Landeseinwohneramt sei die Anschrift des unbekannt verzogenen Beschwerdeführers bekannt, ordnete das Amtsgericht am 25. August 2004 die öffentliche Zustellung des Beschlusses vom 21. Juli 2004 an. Die Beschlußausfertigung wurde auf Anordnung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 29. September 2004 in der Zeit vom 4. Oktober bis zum 20. Oktober 2004 an der Gerichtstafel ausgehängt; am 18. Oktober 2004 war die öffentliche Zustellung damit bewirkt.
Aufgrund des daraufhin von der Staatsanwaltschaft Berlin ausgestellten Vollstreckungshaftbefehls wurde der Beschwerdeführer am 6. Oktober 2005 festgenommen. Seither verbüßt er Strafhaft in dieser Sache. Am 20. Oktober 2005 stellte ihm die Staatsanwaltschaft Berlin den Widerrufsbeschluß (erneut) zu.
Mit auf seinem Umschlag auf den 21. Oktober 2005 datiertem Schreiben - in der Justizvollzugsanstalt Moabit postalisch behandelt am 22. Oktober 2005 - wandte er sich an die Staatsanwaltschaft Berlin als die ihm bekannte Vollstreckungsbehörde und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß. Dieser sei "überwiegend haltlos". Diese Ausführungen waren, da sie sich inhaltlich gegen den Beschluß wandten, gleichzeitig als Einlegung der sofortigen Beschwerde auszulegen (§ 300 StPO). Der Brief ging am 26. Oktober 2005 bei der gemeinsamen Briefannahmestelle der Justizbehörden Moabit ein. Auf dem Begleitumschlag der Justizvollzugsanstalt Moabit befindet sich daneben ein weiteres Handzeichen unbekannter Herkunft vom 28. Oktober 2005. Die Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft erreichte der Rechtsbehelf am 2. November 2005. Die Staatsanwaltschaft leitete ihn am 4. November 2005 als sofortige Beschwerde an das Landgericht Berlin weiter, wo er am 8. November 2005 eintraf. Das Amtsgericht Tiergarten, wo die sofortige Beschwerde hätte eingelegt werden müssen (§ 306 Abs. 1 StPO) erreichte es nicht.
Mit dem angefochtenen Beschluß hat die Strafkammer des Landgerichts Berlin die Wiedereinsetzung versagt und die sofortige Beschwerde als verspätet verworfen. Mit seiner rechtzeitigen (§§ 46 Abs. 3, 311 Abs. 2 StPO) sofortigen Beschwerde gegen die Versagung der Wiedereinsetzung macht der Verurteilte geltend, der Beschluß des Amtsgerichts sei ihm zu Unrecht öffentlich zugestellt worden. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Dem Verurteilten muß die Wiedereinsetzung gewährt werden. Dadurch entfällt die Rechtskraft des Widerrufs.
1.
Mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand muß der Betroffene vorbringen und glaubhaft machen, daß er ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten (§ä§ 44, 45 StPO). Der Beschwerdeführer trägt allerdings vor, daß die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellu...