Leitsatz (amtlich)
Gläubiger des alleinigen Gesellschafters und Geschäftsführers einer GmbH dürfen regelmäßig auch dann nicht in deren Vermögen vollstrecken, wenn dem Titel eine Steuerforderung gegen den Schuldner zu Grunde liegt.
Normenkette
ZPO § 771; GmbHG § 13; AO § 42
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 13 O 155/02) |
Gründe
I. Die Klägerin ist eine GmbH, deren Gesellschafter und Geschäftsführer sowie dessen Ehefrau persönlich dem Finanzamt des Beklagten Einkommensteuer seit dem Jahr 1994 i.H.v. 77.173,36 DM schulden. Der Beklagte betreibt die Vollstreckung und hat mit Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 4.10.2001 das Bankkonto der GmbH, das ausschließlich geschäftlichen Zwecken der GmbH, nicht den persönlichen Geschäften ihres Geschäftsführers dient, gepfändet und sich die Forderungen der GmbH gegen die Bank überweisen lassen. Trotz Einspruchs des Geschäftsführers hat der Beklagte die Aufhebung der Kontopfändung abgelehnt. Mit der am 14.3.2002 zugestellten Drittwiderspruchsklage hat die GmbH die Aufhebung der Pfändungsverfügung verlangt. Das LG hat mit Versäumnisurteil vom 23.7.2002 die Klage abgewiesen. Nach Einlegung des Einspruchs haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Das LG hat mit Beschluss vom 17.9.2002 die Kosten des Rechtsstreits – mit Ausnahme der der Klägerin zur Last fallenden Säumniskosten – dem Beklagten auferlegt, weil die Vermögensmassen der GmbH und ihres Geschäftsführers – bis auf Ausnahmekonstellationen, die hier nicht vorlägen – streng zu trennen seien und die Klage daher nach § 262 AO erfolgreich gewesen sei.
II. Die zulässige sofortige Beschwerde, der das LG nicht abgeholfen hat, ist nicht begründet. Mit überzeugender Begründung hat das LG die Kosten des Rechtsstreits nach Erledigung der Hauptsache gem. § 91a ZPO dem Beklagten auferlegt, da er voraussichtlich im Rechtsstreit unterlegen wäre. Mit der bereits vom LG zitierten Entscheidung des BGH (BGH v. 12.2.1990 – II ZR 134/89, MDR 1990, 802 = GmbHR 1990, 295 = NJW-RR 1990, 738 [739]) geht der Senat davon aus, dass grundsätzlich eine GmbH nicht für die Schulden des Alleingesellschafters im Wege eines „umgekehrten Haftungsdurchgriffs” haftet, da dies mit den Kapitalerhaltungsvorschriften des GmbH-Gesetzes unvereinbar ist. Das Vermögen der GmbH ist ausschließlich für ihre Gläubiger reserviert (a.A. OLG Hamm NJW 1977, 1159). Zwar sieht auch der Senat, dass ein Alleingesellschafter, der zugleich Geschäftsführer ist, die GmbH aufgrund seiner Stellung beherrscht und eine große Missbrauchsgefahr hinsichtlich des Hin- und Herschiebens der Vermögensmassen besteht. Entgegen der Rechtsansicht des Beschwerdeführers führen diese Manipulationsmöglichkeiten jedoch nicht dazu, dass grundsätzlich die rechtliche Trennung zwischen GmbH und Gesellschafter hinter dem Gläubigerschutz zurücktreten muss. Der hierdurch erreichte größere Schutz der Gläubiger des Alleingesellschafters würde auf der anderen Seite bedeuten, dass die Gläubiger der GmbH benachteiligt werden, wenn die GmbH trotz eigenständiger Rechtspersönlichkeit durch Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Alleingesellschafter „leer gepfändet” werden könnte (vgl. OLG Düsseldorf v. 8.12.1999 – 11 U 23/99, OLGReport Düsseldorf 2000, 130 = GmbHR 2000, 283 [285], das allerdings zu einem einzelnen Pfandstück, nämlich einem Pkw, wegen einer Ausnahmesituation anders entscheidet). Soweit Baumbach/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 771 Rz. 18; Zöller/Herget, ZPO, 23. Aufl., § 771 Rz. 13 – Einmann-GmbH auch ohne Ausnahmesituation die Widerspruchsklage der GmbH für unzulässig halten, vermag ihnen der Senat nicht zu folgen. Nichts anderes folgt ferner aus dem Umstand, dass es sich bei der Forderung gegen den Alleingesellschafter um eine Steuerforderung handelt und dem Steuerrecht eine wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht fremd ist. Auch im Rahmen des Steuerrechts sind grundsätzlich die von dem Steuerschuldner gewählten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten anzuerkennen. Einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise wird auch im Steuerrecht nur dann Vorrang eingeräumt, wenn ein Missbrauch der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten vorliegt, wie sich bereits aus § 42 AO ergibt. Der Beklagte trägt nicht ansatzweise vor, dass der Alleingesellschafter die rechtliche Gestaltungsmöglichkeit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gewählt hat, um sich durch ein Hin- und Herschieben von Vermögensmassen der Vollstreckung hinsichtlich seiner Steuerschulden zu entziehen. Die bloße Missbrauchsmöglichkeit reicht weder nach zivilrechtlichen noch nach steuerrechtlichen Grundsätzen aus, um einen umgekehrten Haftungsdurchgriff zu rechtfertigen. Demgemäß ist die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Dr. Briesemeister Kingreen Kuhnke
Fundstellen
Haufe-Index 1103003 |
DStR 2003, 794 |
DStZ 2003, 364 |
NWB 2003, 1578 |
NWB 2003, 2238 |
NJW-RR 2003, 617 |
NZG 2003, 333 |
ZAP 2003, 651 |
KKZ 2003, 256 |
MDR 2003, 716 |
GmbHR 2003, 775 |
KG-Report 2003, 376 |
www.judicialis.de 2003 |