Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Anforderungen an die Urteilsgründe im Bußgeldverfahren in den Fällen derTäteridentifizierung anhand eines von einem Verkehrsverstoß gefertigtenLichtbildes.

2. Misst das Tatgericht einem Sachverständigengutachten Beweisbedeutsamkeit bei,so muss es die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch gerade inBußgeldsachen nur gedrängt) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung derzugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenenSchlussfolgerungen wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis desGutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist. Wenn sich das Gutachten auf eine allgemein anerkannte und standardisierteUntersuchungsmethode gründet und von keiner Seite Einwände gegen dieZuverlässigkeit der Begutachtung erhoben werden, kann etwas anderes gelten. Beieinem anthropologischen Identitätsgutachten handelt es sich bereits nicht um einestandardisierte Untersuchungsmethode.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 23.11.2016; Aktenzeichen (342 OWi) 3031 Js - OWi 10471/16 (373/16))

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. November 2016 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen einer fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit (Geschwindigkeitsüberschreitung) gemäß §§ 41 Abs. 1, 49 (zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 4) und Anlage 2 (zu ergänzen: lfd. Nr. 49 [Zeichen 274]) StVO; § 24 (zu ergänzen: Abs. 1) StVG; (zu ergänzen: i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Anlage (zu § 1 Abs. 1) BKat lfd. Nr. 11.3, Anhang (zu Nr. 11 der Anlage) Tabelle 1 c), lfd. Nr. 11.3.6 BKatV) zu einer Geldbuße von 160,00 Euro verurteilt, gegen ihn gemäß § 25 Abs. 1 StVG ein einmonatiges Fahrverbot verhängt und eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden gemäß § 25 Abs. 2a StVG getroffen.

Den Feststellungen des Amtsgerichts zufolge, befuhr der Betroffene am 13. Mai 2016 um ... Uhr mit dem PKW (amtliches Kennzeichen: ...) die Bundesautobahn 103 in Berlin in Fahrtrichtung Süd und überschritt hierbei in Höhe der Anschlussstelle Filandastraße die dort aufgrund des Verkehrszeichens 274 zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 32 km/h. Die mittels des Geschwindigkeitsmessgeräts "Leivtec XV 3" festgestellte Geschwindigkeit habe nach einem Toleranzabzug von 3 Prozent 112 km/h betragen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.

II.

1. Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg.

Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die ihm zugrunde liegende Beweiswürdigung des Amtsgerichts zur Identifizierung des Betroffenen als Fahrer des in Rede stehenden Pkws ermöglicht aufgrund ihrer Lückenhaftigkeit dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Überprüfung nicht.

Die Beweiswürdigung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatgerichts; die Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht unter anderem dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist und somit nicht erkennen lässt, ob sie auf einer tragfähigen, verstandesgemäß einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen - wenn auch schwerwiegenden - Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat, DAR 2005, 634 sowie Beschlüsse vom 27. August 2010 - 3 Ws (B) 434/10 -, 30. Juni 2014 - 3 Ws (B) 562/13 -, 4. Mai 2015 - 3 Ws (B) 368/15 -, 30. März 2016 - 3 Ws (B) 176/16 - und 20. September 2016 - 3 Ws (B) 488/16 -).

Vorliegend lässt sich dem Urteil entnehmen, dass der Betroffene bestritten hat, das tatgegenständliche Fahrzeug zur Tatzeit geführt zu haben (UA S. 3, 4. Absatz). Das Gericht sei jedoch aufgrund der "Inaugenscheinnahme der Tatfotos", der "Inaugenscheinnahme des Betroffenen" in der Hauptverhandlung und aufgrund der "mündlichen Gutachtenerstattung der Sachverständigen für Anthropologie" von seiner Fahrereigenschaft zur Tatzeit überzeugt (UA S. 3, 5. Absatz).

a) Der bloße Hinweis auf die "Inaugenscheinnahme der Tatfotos" war vorliegend - weder für sich genommen noch in der Gesamtschau - ausreichend, um die gerichtliche Überzeugungsbildung zu begründen. Im Fall der Identifizierung eines Betroffenen als Täter müssen die Urteilsgründe so abgefasst sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung möglich ist, ob ein im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung gefertigtes Lichtbild überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Ausreichend ist es hierfür, dass in den Urteilsgründen auf das sich in der Akt...

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