Leitsatz (amtlich)

1. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist entsprechend auf Streitigkeiten über die funktionelle Zuständigkeit zwischen einer Kammer für Handelssachen und einer Zivilkammer anzuwenden.

2. Die zu § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO entwickelten Grundsätze betreffend die ausnahmsweise Nichtbindung von Verweisungsbeschlüssen wegen Willkür der Verweisung sind auch auf § 102 Satz 2 GVG anzuwenden.

3. § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG ist auf Vollkaufleute, die nicht in das Handelsregister eingetragen sind, nicht entsprechend anzuwenden.

 

Tenor

Die Zivilkammer 36 des LG Berlin wird als der funktionell zuständige Spruchkörper bestimmt.

 

Gründe

I. Die Zivilkammer 36 und die Kammer für Handelssachen 94 des LG Berlin streiten über die funktionelle Zuständigkeit für ein Verfahren, in welchem beide Parteien Kaufleute sind. Die Sache war zunächst bei der Zivilkammer 83 des LG Berlin anhängig und wurde von dieser - ohne Zuständigkeitsstreit - an die Zivilkammer 36 abgegeben, nachdem jene mit Vermerk vom 16.7.2007 (Bl. 14 d.A.) aktenkundig gemacht hatte, dass die Beklagte nicht im Handelsregister als Kaufmann eingetragen sei. Auf Antrag der Beklagten und nach Anhörung der Klägerin verwies die Zivilkammer 36 den Rechtsstreit sodann mit Beschluss vom 20.10.2007 (Bl. 55 d.A.) unter Bezugnahme auf § 95 Abs. 1 Nr. 1 HGB an die zuständige Kammer für Handelssachen, ohne sich allerdings näher mit der fehlenden Handelsregistereingetragenheit der Beklagten auseinanderzusetzen. Die Kammer für Handelssachen 94 erklärte sich mit Beschluss vom 13.2.2008 (Bl. 64 d.A.) für funktionell unzuständig und legte die Sache zur Zuständigkeitsbestimmung dem Kammgericht vor. Die Kammer für Handelssachen ist der Auffassung, der Beschluss der Zivilkammer 36 sei wegen klarer Gesetzeswidrigkeit ausnahmsweise nicht nach § 102 GVG bindend. Denn das Vorliegen der Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Nr. 1 HGB scheitere an der fehlenden Handelsregistereingetragenheit der Beklagten.

II.1. Das KG ist nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, der auf Streitigkeiten über die funktionelle Zuständigkeit zwischen einer Kammer für Handelssachen und einer Zivilkammer entsprechend anzuwenden ist (ebenso OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2005, 257 [257]; OLG Celle OLGReport Celle 2004, 370 [370]; OLG Stuttgart OLGReport Stuttgart 2002, 455 [455]; OLG Braunschweig OLGReport Braunschweig 1995, 154 [154]; Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 102 GVG Rz. 3), zur Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers innerhalb des LG Berlin berufen. Denn sowohl die Zivilkammer 36 als auch die Kammer für Handelssachen 94 haben sich mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für funktional unzuständig erklärt.

2. Die Zivilkammer 36 ist gem. § 94 GVG funktionell zuständig.

Denn die vorliegende Sache ist gem. § 95 GVG keine Handelssache. Insbesondere sind die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG nicht gegeben, nachdem die Beklagte nicht als Kaufmann in das Handelsregister eingetragen ist. Die Vorschrift ist auf nichteingetragene Kaufleute nicht entsprechend anzuwenden. Denn die Feststellung der Kaufmannseigenschaft erfordert - im Gegensatz zur Feststellung der Handelsregistereingetragenheit - nicht selten die Klärung von schwierigen Tatsachenfragen und von Fragen der rechtlichen Bewertung. Der damit verbundene Aufwand steht in keinem angemessen Verhältnis zu der im Einzelfall möglicherweise passenderen Bestimmung der funktionellen Zuständigkeit innerhalb des Gerichts (ähnlich Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 95 GVG Rz. 3), zumal das Vorhandensein von Kammern für Handelssachen für den Gesetzgeber kein dringliches Anliegen ist, wie die bloßen Ermächtigungsvorschrift des § 93 GVG zeigt. Eine Analogie verbietet sich im Übrigen auch deshalb, weil der Gesetzgeber die bis zum 30.6.1998 gültige Fassung des § 95 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, nach der es ausdrücklich auf die Kaufmannseigenschaft, nicht auf die Handelsregistereingetragenheit ankam ("[Klagen ...] gegen einen Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuches aus Geschäften, die für beide Teile Handelsgeschäfte sind"), durch die seitdem gültige, auf die Handelsregistereingetragenheit abstellende Fassung offenbar bewusst abgeändert hat; eine Analogie würde diese gesetzgeberische Entscheidung unterlaufen.

3. Die Zivilkammer 36 hat ihre funktionelle Zuständigkeit nicht nach § 102 Satz 2 GVG dadurch verloren, dass sie den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen verwiesen hat.

a) Nach § 102 Satz 2 GVG bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Spruchkörpers und die Zuständigkeit des Spruchkörpers, an den verwiesen wird. Jedoch ist - wie bei § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO - anerkannt, dass die Bindungswirkung wegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ausnahmsweise dann entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. OLG Celle OLGReport Celle 2004, 370 [371]; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2004, 257 [257]; OLG Stuttgart OLGReport Stuttgart 2002, 455 [455]; OLG Köln NJW-RR 2002, 426 [427]; OLG Karlsruhe OLGReport Kar...

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