Leitsatz (amtlich)
1. Wird außerhalb einer Hauptverhandlung entschieden, so gelten zwar die zeitlichen Grenzen des § 25 StPO für die Anbringung eines Ablehnungsgesuchs nicht. Eine absolute Grenze zieht jedoch stets die gerichtliche Entscheidung; nach ihrem Erlass kann ein Ablehnungsgesuch nie erfolgreich angebracht werden.
2. Die Mitwirkung an früheren Entscheidungen oder an Zwischenentscheidungen in dem anhängigen Verfahren und die in solchen Entscheidungen geäußerten Rechtsmeinungen rechtfertigen die Ablehnung in der Regel nicht. Dies gilt auch dann, wenn eine Zwischenentscheidung auf einem Verfahrensfehler, einem tatsächlichen Irrtum oder auf einer unrichtigen oder sogar unhaltbaren Rechtsansicht beruht, sofern nicht die Entscheidung oder ihre Begründung völlig abwegig ist oder sogar den Anschein der Willkür erweckt.
3. Es besteht keine rechtliche Verpflichtung, die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung oder die Verlängerung der Bewährungszeit bis zum Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens zurückzustellen.
4. Nach rechtskräftiger Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 370 Abs. 2 StPO kommt ein Widerruf oder eine Verlängerung der Bewährungszeit nicht mehr in Betracht.
5. Ein Beschluss, durch den die Ablehnung eines Mitgliedes der Strafvollstreckungskammer als unbegründet zurückgewiesen oder als unzulässig verworfen wird, ist nur zusammen mit der abschließenden Entscheidung der Kammer anfechtbar, da die Strafvollstreckungskammer in Vollstreckungs- und Vollzugssachen wie ein erkennendes Gericht zu behandeln ist.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 20.07.2017; Aktenzeichen 599 StVK 477/16) |
LG Berlin (Entscheidung vom 20.07.2017; Aktenzeichen 599 StVK 495/12) |
Tenor
1. Der Antrag des Verurteilten, ihm für das Beschwerdeverfahren einen Pflichtverteidiger beizuordnen, wird abgelehnt.
2. Die sofortigen Beschwerden des Verurteilten gegen die Beschlüsse des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 20. Juli 2017 in den Verfahren 599 StVK 477/16 und 599 StVK 495/12 werden verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer war am 21. Dezember 2007 durch das Landgericht Berlin - (501) 5 Wi Js 2316/06 KLs (28/07) - unter anderem zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt worden. Nach Vollstreckung eines Teils dieser Strafe durch Anrechnung von Untersuchungshaft setzte das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - den Strafrest mit Beschluss vom 11. Februar 2013 - 599 StVK 495/12 -, rechtskräftig seit dem 20. Februar 2013, zum Halbstrafenzeitpunkt auf drei Jahre zur Bewährung aus, unterstellte den Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung des zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers und erteilte ihm näher bezeichnete Weisungen.
Mit Strafbefehl vom 10. März 2014, rechtskräftig seit dem 29. März 2014, verhängte das Amtsgericht Tiergarten - (295 Cs) 253 Js 288/12 (45/14) - gegen den Beschwerdeführer wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen (Tatzeit: 8. Mai 2013 und 17. Juni 2013) eine Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 20,00 Euro. Im Hinblick auf die dieser Verurteilung zugrunde liegenden Tatvorwürfe hat die Strafvollstreckungskammer durch den Richter am Landgericht ... als Einzelrichter mit Beschluss vom 13. Juli 2016 - 599 StVK 495/12 - die Bewährungszeit um ein Jahr verlängert und sich den Widerruf der Strafaussetzung für den Fall weiterer rechtskräftiger Verurteilungen vorbehalten.
Gegen diesen Beschluss hat der Verurteilte mit Schreiben vom 15. Juli 2016, eingegangen am Folgetag, unter anderem "sofortige Beschwerde" eingelegt und den Richter am Landgericht ... wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Ablehnungsgesuch wurde damit begründet, dass der abgelehnte Richter - was jeweils zutrifft - den Antrag des Verurteilten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt, ihm keine Akteneinsicht gewährt und in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt hatte, dass der von dem Verurteilten gestellte Wiederaufnahmeantrag in dem Strafverfahren (295 Cs) 253 Js 288/12 (45/14) offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe, da die Tathandlungen von ihm eingeräumt würden. Hieraus ergebe sich - so der Beschwerdeführer - die Besorgnis der Befangenheit, da sich der abgelehnte Richter über das Schreiben des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin vom 30. Mai 2016 hinweggesetzt habe. In diesem war ausgeführt worden, dass die Erfolgsaussichten eines Wiederaufnahmeverfahrens offen seien, nachdem das OVG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 24. April 2014 die der amtsgerichtlichen Verurteilung zugrunde liegende Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 11. Mai 2010 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2010) aufgehoben hatte. Wegen des weiteren Vortrags zu dem Ablehnungsgesuch nimmt der Senat auf die von dem Beschwerdeführer seit Juli 2016 eingereichten zahlre...