Entscheidungsstichwort (Thema)

Beiordnung eines Rechtsanwalts in einem Umgangsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Feststellung der Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts gem. § 78 Abs. 2 FamFG setzt eine konkrete an den objektiven wie subjektiven Gegebenheiten des konkreten Falls orientierte Notwendigkeitsprüfung voraus.

 

Normenkette

FamFG § 78 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 07.01.2010; Aktenzeichen 157a F 20032/09)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss über die Verfahrenskostenhilfe des AG Tempelhof-Kreuzberg vom 7.1.2010 - 157A 20032/09 - geändert:

Der Antragsgegnerin wird Rechtsanwalt L. beigeordnet.

 

Gründe

I. Die Kindesmutter erstrebt die Beiordnung ihres Rechtsanwalts im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe.

Die seit Juni 2009 getrennt lebenden Eltern der beiden jetzt eindreiviertel und fünf Jahre alten Kinder haben um Details des väterlichen Umgangs mit den Kindern gestritten. Im Grundsatz waren sie sich einig, dass der Umgang alle zwei Wochen stattfinden sollte. Der Streit ging um Fragen wie,

  • dass der Vater die Kinder pünktlich abhole und bringe;
  • in welchem Umfang es richtig sei, wenn sich der Vater gezielt mit dem fünfjährigen Sohn stundenweise allein beschäftigte, während die Tochter von seinen Eltern bzw. seiner Lebensgefährtin beaufsichtigt wurde;
  • ob die Mutter verpflichtet sei, ein Telefonat des Vaters mit dem Sohn während der Woche zu vermitteln;
  • ob der Vater verpflichtet sei, im Falle einer schweren Verletzung oder Erkrankung der Kinder (z.B. Armbruch) während des Umgangs die Mutter sofort zu unterrichten;
  • ob die Kinder vorbeugend gegen die Schweinegrippe geimpft werden sollten, die der Vater ohne Zustimmung der Mutter durchzuführen drohte.

Die Mutter, die bereits im Zusammenhang mit Unterhaltsfragen einen Rechtsanwalt beauftragt hatte, verweigerte daraufhin, anwaltlich beraten, den Umgang bis zur Klärung dieser Fragen. Daraufhin ließ der Vater sein Umgangsrecht ggü. der Mutter durch einen Rechtsanwalt vorgerichtiich geltend machen. Eine Einigung kam nicht zustande.

Hierauf beantragte der Vater, vertreten durch seinen Rechtsanwalt, beim Familiengericht eine Regelung des Umgangs. Das AG ordnete das beschleunigte Verfahren an. In dem anberaumten Termin schlossen die Parteien eine gerichtlich genehmigte Umgangsvereinbarung.

Das AG bewilligte der Mutter Verfahrenskostenhilfe, verweigerte jedoch die Beiordnung ihres Rechtsanwalts, weil dies mangels tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten nicht erforderlich gewesen sei. Für schriftliche Äußerungen hätte die Mutter sich der Rechtsantragsstelle bedienen können.

Gegen die Verweigerung der Beiordnung richtet sich die sofortige Beschwerde der Mutter. Sie ist der Auffassung, dass die Beiordnung schon deswegen erfolgen müsse, weil der Vater seinerseits durch einen Anwalt vertreten sei; würde ihr kein Anwalt beigeordnet, würde das verfassungsrechtliche Gebot der weitgehenden Gleichstellung von Bemittelten und Unbemittelten verletzt und effektiver Rechtsschutz erschwert. Zudem habe der Fall schwierige Randprobleme im Zusammenhang mit dem Umgang aufgewiesen, wie die Frage der Benachrichtigung der Mutter im Falle, dass die Kinder sich schwer verletzten, oder die Frage der Impfung gegen die Schweinegrippe.

II. Die sofortige Beschwerde ist statthaft, § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO i.V.m. § 76 Abs. 2 FamFG, und auch im Übrigen zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden, §§ 127 Abs. 2 Satz 3, 569 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 76 Abs. 2 FamFG.

In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Die Voraussetzungen einer Beiordnung liegen vor.

1. Gemäß § 78 Abs. 2 FamFG ist in Verfahren, in denen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, wie hier, ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Die Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Entscheidend ist, ob ein bemittelter Rechtsuchender in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte (BGH, Beschl. v. 18.2.2009 - XII ZR 137/08, NJW-RR 2009, 794 = FamRZ 2009, 857), ferner die Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich oder schriftlich auszudrücken (BVerfG NJW-RR 2007, 1713; vgl. auch BVerfGE 63, 380, 394). Die Feststellung der Erforderlichkeit im Einzelfall setzt eine konkrete, an den objektiven wie subjektiven Gegebenheiten des konkreten Falls orientierte Notwendigkeitsprüfung voraus (BGH, a.a.O.).

Maßgeblich bei § 78 Abs. 2 FamFG sind demnach Umfang und Schwierigkeit der Sache und der einschlägigen Rechtsfragen (vgl. BT-Drucks. 16/6308, 168). Dieser zunächst rein objektive Maßstab ist jedoch schon aus verfassungsrechtlichen Gründen um einen subjektiven Aspekt zu ergänzen. Denn das Recht der Verfahrenskostenhilfe muss den Grundsatz der Rechtswahrnehmungsgleichheit berücksichtigen: Der Minderbemittelt...

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