Leitsatz (amtlich)

1. Der im Falle des typischen Auffahrunfall gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn der Vorausfahrende in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Unfall in den vom Auffahrenden befahrenen Fahrstreifen gewechselt ist; in einem solchen Fall haftete der Fahrstreifenwechsler wegen des für eine Verletzung der Sorgfaltspflichten aus § 7 Abs. StVO sprechenden Anscheinsbeweises allein

2. Aus dem Schadensbild an den unfallbeteiligten Fahrzeugen kann nichts zu der Frage abgeleitet werden, ob ein Auffahren in unmittelbarem zeitlichem und örtlichem Zusammenhang mit dem unstreitigen Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden stand.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 41 O 85/09)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend.

Am 6.11.2008 befuhr der Kläger mit seinem Taxi zunächst den rechten Fahrstreifen der Residenzstraße in Fahrtrichtung Lindauer Allee. Er wechselte dann in den linken Fahrstreifen, den die Beklagte zu 1) mit dem von dem Beklagten zu 2) gehaltenen und bei der Beklagten zu 3) gegen Haftpflicht versicherten Kfz hinter dem klägerischen Kfz befuhr. Unter im Einzelnen von den Parteien unterschiedlich geschilderten Umständen kam es dann zur Kollision zwischen den beiden Kfz.

Der Kläger hat behauptet, nachdem er einige Distanz auf dem linken Fahrstreifen zurückgelegt habe, habe er wegen eines vor ihm auf den linken Fahrstreifen wechselnden Kfz anhalten müssen. Nach ungefähr drei Sekunden sei das Beklagtenfahrzeug aufgefahren.

Der Kläger hat gemeint, der Beweis des ersten Anscheins streite für das Verschulden der aufgefahrenen Beklagten zu 1).

Der Kläger hat klageweise Schadensersatz wegen der Beschädigung seines Kfz i.H.v. 4.757,82 EUR und Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 481,50 EUR sowie die Feststellung verlangt, dass die Beklagten verpflichtet seien, ihm weiteren materiellen Schaden zu ersetzen.

Die Beklagten haben behauptet, der Kläger habe, kurz nachdem er auf die linke Fahrspur gezogen sei, verkehrsbedingt abbremsen müssen. Noch während des Fahrstreifenwechsels habe sich der Unfall ereignet.

Das LG hat die Klage nach Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 1) sowie der Einvernahme von zwei Zeugen zum Hergang des Unfalls abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klage sei unbegründet, weil der Kläger allein für seinen Unfallschaden hafte, da er den gegen sich als Fahrspurwechsler sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttert habe. Der Anscheins-beweis zu Lasten des Klägers greife ein, da das Klägerfahrzeug unstreitig vor der Kollision den Fahrstreifen gewechselt habe und sich der Unfall in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel ereignet habe. Die geltend gemachte Standzeit seines Fahrzeugs von drei Sekunden beseitige, selbst wenn man diese Dauer als richtig unterstellen würde, den zeitlichen Zusammenhang nicht.

Demgegenüber greife ein Anscheinsbeweis gegen das auffahrende Beklagtenfahrzeug nicht ein. Im Falle eines unstreitigen Fahrstreifenwechsels des Vorausfahrenden setze der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden voraus, dass beide Fahrzeuge unstreitig oder erwiesenermaßen so lange in einer Spur hintereinander gefahren seien, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangene Fahrzeugbewegung hätten einstellen können. Diese Umstände habe der Kläger zu beweisen. Diese ergäben sich nicht aus dem zu unbestimmten Sachvortrag des Klägers und auch die Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 1) sowie die Beweisaufnahme hätten keine zur Überzeugung des Gerichts feststehende Tatsachen erbracht, die den Schluss auf einen Anscheinsbeweis gegen die aufgefahrene Beklagte zu 1) zuließen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine Klageanträge weiter verfolgt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus:

Nach seiner Auffassung streite für eine Haftung der Beklagten zu 1) der zu ihren Lasten gehende Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden, weil es sich um einen typischen Auffahrunfall mit Teilüberdeckung von Heck und Front handle. Kein typischer Auffahrunfall solle nur dann vorliegen, wenn eine Eckkollison bei Schrägstellung der Längsachse des Vorausfahrenden gegeben sei. Das habe das Erstgericht verkannt. Bereits das Schadensbild spreche dafür, dass es einen "geraden" Heckaufprall gegeben habe. Über die streitige Tatsache des Schadensbildes hätte das LG Beweis erheben müssen.

Zudem habe sich sowohl aus dem Klägervortrag als auch aus dessen Anhörung ergeben, dass beide Fahrzeuge bereits so lange in einer Spur hintereinander gefahren seien, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangenen Fahrbewegungen hätten einstellen können. Dafür spreche zum einen der Umstand, dass der Kläger bereits ein bis zwei Sekunden vor dem Aufprall gestanden habe, zum anderen habe die Beklagte selbst nicht behauptet,...

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