Entscheidungsstichwort (Thema)
Wichtiger Grund für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat die Staatsanwaltschaft die weitere Bearbeitung zurückgestellt, weil sie zunächst den Gang der Hauptverhandlung in einem Parallelverfahren und die Einlassungen der dortigen Angeklagten abwarten wollte, nach denen der ein vorliegend Angeschuldigter auch die unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln aus der Türkei nach Deutschland organisiert haben soll, sind die Ermittlungen ohne zwingende sachliche Notwendigkeit auf Bereiche ausgedehnt worden, die außerhalb des bereits ausermittelten und anklagereifen Straftatenkomplexes des hiesigen Verfahrens, nämlich dem Handel mit aus Belgien eingeführten Betäubungsmitteln, lagen, und haben die Fertigstellung der Anklageschrift verzögert.
2. Das in dieser Vorgehensweise offenbarte Bestreben, allen Ermittlungsansätzen in einem einzigen Ermittlungsverfahren nachzugehen, um sämtliche Vorwürfe einer gemeinsamen Anklageerhebung zuzuführen, ist jedoch mit dem Beschleunigungsgebot dann nicht zu vereinbaren, wenn eine Abtrennung einzelner Straftatenkomplexe ohne weiteres möglich ist.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Beschluss vom 13.04.2006; Aktenzeichen 349 Gs 1455/06) |
Tenor
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 13. April 2006 - 349 Gs 1455/06 - und die Ergänzungsbeschlüsse desselben Gerichts vom 12., 19. und 22. Mai 2006 - 349 Gs 1568/06 - werden aufgehoben.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Berlin legt den Angeschuldigten mit der am 5. Oktober 2006 vor dem Landgericht Berlin erhobenen Anklage zur Last, sich in Aachen, Morsbach, dem deutsch-belgischen Grenzgebiet und Berlin zwischen dem 28. November 2005 und dem 19. April 2006 u.a. wegen bandenmäßigen, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Mrnge in drei Fällen strafbar gemacht zu haben. Sie sollen durch Kuriere ca. 490 Gramm Kokain (Fall I. 3.) und über 2 Kilogramm Heroin (Fälle I. 1. und 2.) aus Belgien nach Berlin geschafft haben, um es hier gewinnbringend zu verkaufen. Darüber hinaus habe der Angeschuldigte A1 gegen das Waffengesetz verstoßen, weil er in seinem Haus in Morsbach 15 scharfe Patronen des Kalibers 9 mm Luger aufbewahrte (Fall III.), und der Angeschuldigte A2 sei in 15 Fällen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig (Fälle II. 1.-14.), davon in einem Fall in Tateinheit mit Fall I.3. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anklageschrift vom 21. September 2006 Bezug genommen. Die Angeschuldigten sind am 12. April 2006 vorläufig festgenommen worden und befinden sich seitdem ununterbrochen in Haft und zwar auf Grund des am 13. April 2006 von dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin erlassenen Haftbefehls - 349 Gs 1455/06 -, der durch die Beschlüsse vom 22. Mai, 19. Mai und 12. Mai 2006 - sämtlich 349 Gs 1568/06 - ergänzt worden ist. Das Landgericht hat die Akten dem Senat zur Entscheidung nach § 121 Abs. 1 StPO vorgelegt.
II.
Dieser hebt den Haftbefehl und die Ergänzungsbeschlüsse auf und entlässt die Angeschuldigten aus der Untersuchungshaft.
Die Angeschuldigten sind zwar der ihnen in dem Haftbefehl und den Ergänzungsbeschlüssen bezeichneten Straftaten (Fälle I. 1. und 3.) - und nur auf diese hat sich wegen der fehlenden Aktualisierung die vorliegende Haftprüfung zu erstrecken - dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO), und es besteht auch Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Gleichwohl sind der Haftbefehl und die ihn ergänzenden Beschlüsse des Amtsgerichts aufzuheben, denn eine weitere Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus erscheint nicht gerechtfertigt.
Grundsätzlich haben die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle ihnen möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um möglichst umgehend eine gerichtliche Entscheidung über die in dem Haftbefehl bezeichneten Straftaten herbeizuführen [vgl. BVerfG NJW 1974, 307]. Die Ermittlungsmaßnahmen wie auch das gesamte Verfahren unterliegen daher der permanenten Prüfung, ob sie geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen.
Erweisen sie sich als besonders schwierig oder umfangreich, so rechtfertigt dies nur dann die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus, wenn sie zugleich frei von vermeidbaren Verzögerungen oder Säumnissen sind. Hierbei wachsen die an die Zügigkeit und Effizienz der Bearbeitung zu stellenden Anforderungen in dem Maße, in dem der Freiheitsanspruch des Untersuchungsgefangenen mit der Dauer Gewicht gewinnt [vgl. BVerfG NJW 1980, 1448; KG StV 2000, 36] Wenngleich danach die bei der ersten Haftprüfung nach § 121 Abs. 2 StPO anzulegenden Maßstäbe noch nicht so streng sind, können gleichwohl mehrere geringere Verzögerungen zur Aufhebung eines Haftbefehles führen, sofern sie in ihrer Summe die Erheblichkeitsschwelle überschreiten [vgl. KG, Beschluss vom 17. August 2006 - 3 Ws 398/06 -]. Dabei hat die Prüfung auch den Zeitraum - in der Regel drei Monate (§ 122 Abs. 3 Satz 3 StPO) - zu berücksichtigen, um den die Fortdauer der Un...