Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 04.02.2013; Aktenzeichen (281 Cs) 221 Js 672/12 (6/12))

 

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 4. Februar 2013 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten am 4. Februar 2013 wegen unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt und ihm eine Zahlungserleichterung nach § 42 Abs. 1 StGB gewährt. Mit seiner gegen dieses Urteil eingelegten Sprungrevision (§ 335 Abs. 1 StPO) rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts.

Die Revision ist offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Die auf die unbeschränkt erhobene Sachrüge gebotene Prüfung des angefochtenen Urteils deckt keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler auf.

1. Die Feststellungen tragen in ihrer Gesamtheit den Schuldspruch wegen passlosen Aufenthalts im Bundesgebiet gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Insbesondere ergibt sich aus den Ausführungen zur Zumutbarkeit der Passerlangung, dass der Angeklagte auch nicht über einen Ausweisersatz in Gestalt einer sogenannten qualifizierten Duldungsbescheinigung nach § 48 Abs. 2 AufenthG verfügte (dazu vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22. August 2012 - 1 Ss 210/12 - juris; BayObLG StV 2005, 213; KG, Beschluss vom 23. April 2013 - (4) 161 Ss 92/13 (89/13) -) oder - was die Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ebenfalls entfallen ließe (vgl. BVerfG NVwZ 2006, 80; BayObLG aaO.; OLG Frankfurt am Main aaO.; OLG München NStZ-RR 2012, 348; OLG Celle StraFo 2005, 434; OLG Stuttgart NStZ-RR 2011, 28; Mosbacher in GK-AufenthG § 95 Rdn. 30) - Anspruch auf Erteilung eines solchen hatte. Die Feststellungen zur inneren Tatseite sind zwar knapp, belegen aber den erforderlichen Vorsatz. Ausführungen zum Unrechtsbewusstsein waren entbehrlich, da dessen Fehlen bei der vorliegenden Fallgestaltung - der Angeklagte unterließ die Beantragung eines Passes bei den vietnamesischen Behörden ausdrücklich aus mangelndem Rückkehrwillen - nicht nahe lag (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19. September 2006 - 1 Ss 167/06 - juris).

2. Die Mitwirkung an der Pass- oder Passersatzbeschaffung war dem Angeklagten entgegen den Ausführungen der Revision auch nicht unzumutbar. Ein Ausländer kann einen Pass dann nicht in zumutbarer Weise erlangen, wenn ihm von seinen Heimatbehörden ein Pass verweigert wird oder wenn er einen solchen nicht in angemessener Zeit oder nur unter schwierigen Umständen erhalten kann (vgl. BayObLG StV 2005, 213; OLG München, Beschluss vom 21. November 2012 - 4 StRR 133/12 -; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22. August 2012 - 1 Ss 210/12 - juris; OLG Celle StraFo 2005, 434; KG, Beschluss vom 23. April 2013 - (4) 161 Ss 92/13 (89/13) -). Dabei dürfen die Anforderungen zur Erlangung eines Passes nicht zu hoch angesetzt werden. Das Zumutbarkeitskriterium soll lediglich der Nachlässigkeit oder der Bequemlichkeit des Ausländers Einhalt gebieten (vgl. BayObLG aaO.; KG aaO.; OLG Frankfurt am Main aaO.; OLG Celle aaO.; OLG Stuttgart NStZ-RR 2011, 28). Ist ein Ausländer entgegen seiner Rechtspflicht aber - wie hier - nicht einmal zu einem entsprechenden Antrag auf Erteilung eines Passes bereit, verbietet sich grundsätzlich die Annahme, ein solcher sei in zumutbarer Weise nicht zu erlangen (vgl. BayObLG aaO.; OLG Stuttgart aaO.).

Eine Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ergibt sich auch nicht daraus, dass das Fehlen von Identitätspapieren ein den Duldungsanspruch des Angeklagten begründendes tatsächliches Abschiebungshindernis darstellte und die Ausstellung eines Passes seine Abschiebung erleichtert oder ermöglicht hätte (vgl. BVerfG NVwZ 2006, 80; BayObLG aaO.; KG, Urteil vom 7. Mai 2013 - (4) 161 Ss 68/13 (69/13) -). Denn die Duldung gewährt kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht, sondern lässt die (hier mit rechtskräftiger Ablehnung des Asylantrags begründete) Ausreisepflicht bestehen. Ob die Voraussetzungen für ein (dauerhaftes) Aufenthaltsrecht vorliegen, wird in einem rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahren umfassend geprüft, das richterlicher Kontrolle unterliegt. Gleiches gilt für die Frage, ob rechtliche Abschiebungshindernisse gegeben sind. Stehen der Ausreise hingegen lediglich tatsächliche Hindernisse entgegen, namentlich solche, die der Ausreisepflichtige selbst zu vertreten hat, wird ihm durch die Auferlegung (und strafrechtliche Durchsetzung) der Pass- und Ausweispflicht regelmäßig nichts Unzumutbares abverlangt. Der Ausreisepflichtige kann nicht beanspruchen, dass der Staat die Durchsetzung der Ausreisepflicht unterlässt, ihn von weiteren aufenthaltsrechtlichen Verpflichtungen freistellt oder deren Verletzung nicht sanktioniert (vgl. BVerfG aaO.).

Soweit die Revision unter Berufung auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 2. Dezember 2003 - 2 B 3712/03 As - geltend macht, die Mitwirkungsp...

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