Leitsatz (amtlich)
1. Voraussetzung für eine Äußerung in einer „beleidigungsfreien Sphäre“ ist, dass es sich um eine Äußerung gegenüber einer Vertrauensperson handelt, die in einer Sphäre fällt, die gegen Wahrnehmung durch den Betroffenen oder Dritte abgeschirmt ist. Der Kreis möglicher Vertrauenspersonen ist nicht auf Ehegatten oder Eltern beschränkt, sondern erstreckt sich auf ähnlich enge Vertrauensverhältnisse, es muss sich jedoch um eine Person aus dem engsten Lebenskreis des Äußernden handeln, zu der eine besonders ausgestaltete Vertrauensbeziehung besteht.
2. Eine „beleidigungsfreie Sphäre“ setzt voraus, dass die Vertraulichkeit nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls tatsächlich gewährleistet erscheint, die Kommunikation mithin gegen die Wahrnehmung durch Dritte abgeschirmt ist.
3. Die Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der ersten Instanz sind zwar kein Maßstab für die Strafzumessung im Berufungsverfahren, weshalb eine Herabsetzung der Strafe im Fall der Verringerung des Schuldumfangs bzw. des Hinzutretens neuer Milderungsgründe nicht zwingend ist. Erforderlich ist aber eine Begründung. Der Angeklagte hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, warum er trotz Hinzukommens erheblicher Strafmilderungsgründe gleich hoch bestraft wird.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 04.12.2019; Aktenzeichen (564) 283 AR 165/19 Ns (66/19)) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Dezember 2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Aufgehoben wird auch die Feststellung des Landgerichts, dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass der Zeuge S zum Zeitpunkt der Tat etwa einen Meter hinter ihm die Treppe hinunter ging, er habe billigend in Kauf genommen, dass der Zeuge S die hier verfahrensgegenständliche Beleidigung hören werde.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten am 2. Mai 2019 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,- Euro verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit der Maßgabe verworfen, dass die Tagesatzhöhe auf 15,- Euro herabgesetzt wurde.
Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
II.
Die form- und fristgerecht sowie unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten hat den aus dem Tenor ersichtlichen (vorläufigen) Teilerfolg.
Zur Tathandlung hat das Landgericht im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
"Der Angeklagte und der mit ihm befreundete Zeuge K waren im April 2018 Polizeimeisteranwärter in der Klasse xx der Polizeiakademie Berlin; die kollegial miteinander befreundeten Zeugen Z, R, S und L waren dort Polizeimeisteranwärter in der Parallelklasse yy. Als am Freitag, dem 6. April 2018, der Unterricht an der Polizeiakademie [...] um etwa 15 Uhr endete, wollten die Anwärter, die sich nach dem Sportunterricht in ihren Zimmern im "Haus 3" umgezogen hatten, das Akademiegelände verlassen und den Heimweg antreten. Die "Männerstuben" der genannten Klassen befanden sich im ersten Stockwerk des Gebäudes, jene der Anwärterinnen im zweiten Stockwerk.
Die Polizeimeisteranwärterinnen Z und R liefen aus dem zweiten Stockwerk kommend gemeinsam die Treppe in dem Gebäude in Richtung des Ausgangs hinunter. Ihnen folgten etwa einen Treppenabsatz dahinter aus dem ersten Stockwerk kommend der Angeklagte und dessen Kollege und Freund, der Zeuge K. In einer Entfernung von etwa einem Meter hinter dem Angeklagten und dem Zeugen K ging - wie dem Angeklagten bewusst war - der Polizeimeisteranwärter und Zeuge S, ein befreundeter Klassenkollege der beiden Zeuginnen, die Treppe hinunter; er war hinter dem Angeklagten und seinem Begleiter aus dem Bereich der "Männerstuben" zur Treppe gegangen. Ein Stück hinter ihm folgte der Zeuge L. S und L hatten mit der Zeugin R vereinbart, dass diese beide mit ihrem Auto ein Stück des Heimwegs mitnehmen würde.
Der Angeklagte äußerte in dieser Situation gegenüber dem Zeugen K in normaler Sprechlautstärke mit Blick auf eine der beiden vor ihnen laufenden Zeuginnen: "Der würd' ich geben, der Kahba". Damit brachte er in jugendlicher Vulgärsprache zum Ausdruck, er würde gerne mit "der Kahba" geschlechtlich verkehren. Das Wort "Kahba" ist arabisch und bedeutet "Schlampe" oder "Prostituierte" und wird mit dieser Bedeutung in der deutschen Jugendsprache - insbesondere in der Rap-Musik - verwendet; in diesem abwertenden Sinne und mit der Zielrichtung, seine Missachtung gegenüber der von ihm gemeinten Frau auszudrücken, verwendete der Angeklagte das Wort "Kahba". Zusätzlich wies er mit einem Nicken und einer Armbewegung in Richtung der beiden Zeuginnen. Der Zeuge S hörte die an den Zeugen K gerichtete Bemerku...