Leitsatz (amtlich)
1. Beschleunigungsgebot bei einstweiliger Unterbringung, keine starren Fristen.
2. Das Gebot besonders beschleunigter Bearbeitung gilt auch und insbesondere im jugendrichterlichen Verfahren, in dem eine freiheitsentziehende Maßnahme vollzogen wird; die Tatsache, dass im Falle des § 71 Abs. 2 JGG kein besonderes Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO stattfindet, steht der Verpflichtung zu besonderer Beschleunigung nicht entgegen.
3. In Haftsachen ist im Regelfall spätestens drei Monate nach Eröffnungsreife mit der Hauptverhandlung zu beginnen; ein Zeitraum von vier Monaten zwischen Anklageerhebung und dem Beginn der Hauptverhandlung ist im allgemeinen nur hinnehmbar.
4. Diese Zeiträume bilden lediglich Orientierungspunkte, entscheidend sind jeweils die konkreten Verhältnisse des Einzelfalles.
5. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung kommt es weder auf eine persönliche Vorwerfbarkeit an, noch fallen nur grobe Fehler oder gar nur willkürliche Fehlentscheidungen ins Gewicht. Vielmehr können auch objektiv verzögernde einfache Mängel bei der Sachbehandlung in ihrer Gesamtheit Bedeutung erlangen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 09.07.2015; Aktenzeichen (513 KLs) 251 Js 458/14 (16/15)) |
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 12.01.2015; Aktenzeichen 351 Gs 142/15) |
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 06.01.2015; Aktenzeichen 350 Gs 29/15) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten werden die Unterbringungsbeschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten vom 6. Januar 2015 - 350 Gs 29/15 - und vom 12. Januar 2015 - 351 Gs 142/15 - sowie der Beschluss des Landgerichts vom 9. Juli 2015 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Landeskasse Berlin zur Last.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft Berlin hat dem Beschwerdeführer mit ihrer gegen insgesamt fünf Jugendliche, einen Heranwachsenden und einen Erwachsenen gerichteten, zum Landgericht Berlin erhobenen Anklage vom 20. Februar 2015 zur Last gelegt, als Jugendlicher (im Alter zwischen 14 Jahren fünf Monaten und 14 Jahren zehn Monaten) zwischen dem 1. August 2014 und dem 3. Januar 2015 insgesamt 13 Straftaten der Sachbeschädigung, des (zum Teil besonders schweren) Diebstahls, des (zum Teil versuchten und zum Teil bandenmäßigen) Wohnungseinbruchsdiebstahls, der Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und eines schweren Raubes begangen zu haben. Wegen der Einzelheiten der Tatvorwürfe nimmt der Senat auf den Inhalt der Anklageschrift Bezug.
Die Vorsitzende der am 24. Februar 2015 mit der Sache befassten Jugendkammer wies mit ausführlicher Verfügung vom 26. Februar 2015 die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass die Anklageerhebung an das Landgericht mit § 41 Abs. 1 JGG nicht vereinbar sei und sandte die Akten durch besonderen Wachtmeister an die Staatsanwaltschaft zurück. Diese blieb mit Verfügung vom 27. Februar 2015 unter pauschalem Hinweis auf die Straferwartung zunächst bei der Befassung des Landgerichts und sandte die Akten an dieses zurück, wo sie am 2. März 2015 wieder eingingen. Noch am selben Tag sandte die Vorsitzende der Jugendkammer die Akten unter Bezugnahme auf eine telefonische Rücksprache mit der Anklageverfasserin mit der Bitte wieder an die Staatsanwaltschaft zurück, die Anklage zurückzunehmen und bei dem Jugendschöffengericht zu erheben. Die Rücknahmeerklärung erfolgte unter dem 3. März 2015 und gelangte am 5. März 2015 zur Kenntnis des Landgerichts. Am 10. März 2015 wurde die neue Anklage gefertigt; sie ging am 11. März 2015 mit den Akten bei dem Amtsgericht Tiergarten ein, wobei die in Betracht zu ziehende Vorlage an das Landgericht wegen des Umfangs der Sache in der Begleitverfügung ausdrücklich angesprochen wurde. Unter dem 17. März 2015 verfügte der Abteilungsrichter die entsprechende Vorlage der Sache an das Landgericht zur Übernahme. Wann diese ohne Eilvermerk getroffene Verfügung ausgeführt wurde, ist nicht ersichtlich. Die Akten gingen erst am 25. März 2015 bei der Eingangsregistratur des Landgerichts und am Folgetag wieder bei der Jugendkammer ein. Am 27. März 2015 verfügte die Kammervorsitzende die Zustellung der Anklageschrift und bestimmte die Erklärungsfrist auf zehn Tage.
Am 5. Mai 2015 vermerkte sie, dass bei Eingang der Sache am 26. März 2015 (an regulären Sitzungstagen der Kammer) nur noch sechs freie Verhandlungstage bis zu ihrem am 20. Juli 2015 beginnenden Urlaub zur Verfügung gestanden hätten, bei streitiger Verhandlung (gegen alle Angeklagten) 21 Taten aufzuklären wären und dies in den zur Verfügung stehenden vier zusammenhängenden Tagen bis zum 17. Juli 2015 nicht möglich sei, weshalb mit der Sache erst nach ihrem Urlaub ab dem 10. August 2015 begonnen werden könne. Nach telefonischen Rücksprachen mit den Verteidigern bezüglich deren terminlicher Verfügbarkeit erfolgte zum Zweck der Prüfung von Verständigungsmöglichkeiten sodann eine schriftliche Anfrage bei der Staatsanwaltsc...