Leitsatz (amtlich)
1. Zur Verwendung eines Richters im Eingangsamt im Vorsitz einer Berufungsstrafkammer.
2. Vom gesetzlichen Leitbild des § 21f Abs. 1 GVG darf nur unter engen Voraussetzungen abgewichen werden. Eine Ausnahme darf zum einen in Vertretungsfällen gemacht werden, wobei die Vertretungsregeln eng auszulegen sind; zum anderen kann bei einem unabwendbaren, rechtlich begründeten Bedürfnis - wie insbesondere der Eignungserprobung - eine Ausnahme zulässig sein.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 02.06.2017; Aktenzeichen (564) 282 AR 106/16 Ns (102/16)) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. Juni 2017 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin durch das angefochtene Urteil verworfen.
Der Angeklagte rügt mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Mit der Verfahrensrüge macht er einen Verstoß gegen § 21f GVG i.V.m. § 338 Nr. 1 StPO geltend.
1. Hierzu trägt er vor, erkennender Richter in der Berufungshauptverhandlung vom 2. Juni 2017 sei RiAG W gewesen, der auch im Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Berlin als Vorsitzender der Strafkammer 64 ausgewiesen gewesen sei. Nach §§ 76 Abs.1, 21f GVG sei eine Strafkammer jedoch mit einem Vorsitzenden Richter i.S.d. § 19a DRiG zu besetzen. RiAG W sei durch Präsidialbeschluss vom 27. März 2017 zum Vorsitzenden der Strafkammer 64 bestimmt worden. Der Wortlaut des Beschlusses sei eindeutig und könne auch nicht dahin ausgelegt werden, dass RiAG W nur vorübergehend oder vertretungsweise zum Vorsitzenden bestimmt worden sei. Zudem sei die Strafkammer 64 zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung bereits seit fünf Jahren nicht mehr mit einem ordentlichen Vorsitzenden i.S.v. §§ 76 Abs. 1, 21f Abs. 1 GVG besetzt gewesen. Nachdem zuletzt VRi‚inLG C in der Zeit vom 1. bis zum 31. Mai 2012 als statusmäßige Vorsitzende der Strafkammer 64 vorgesessen habe, sei der Vorsitz der Strafkammer 64 anschließend durchgehend (bis auf zwei Monate, in denen er mit "N.N." ausgewiesen gewesen sei) auf Richter/-innen am Land- bzw. Amtsgericht übertragen worden. Die Revision trägt insoweit lückenlos vor, welche Richter über welchen Zeitraum den Vorsitz in der Strafkammer 64 geführt haben. Zuletzt habe in der Zeit vom 1. November 2015 bis zum 31. März 2017 Ri‚inLG Dr. I den Vorsitz in der Strafkammer 64 geführt, wobei der Geschäftsverteilungsplan - wie auch bei ihren Vorgängern - den Zusatz enthalten habe "[ist] bis zum Abschluss des Verfahrens um die Besetzung der Stelle einer VRi‚inLG/eines VRiLG mit Vorrang vor anderen Vertretungsregelungen dieses Geschäftsplans zur Vertr. d. Vors. berufen". Danach sei ab dem 1. April 2017 RiAG W als Vorsitzender eingesetzt worden, bei dem der Geschäftsverteilungsplan den genannten Zusatz nicht enthalten habe.
Diese Regelung verstoße gegen § 21f Abs. 1 GVG, so dass das Urteil nach § 338 Nr. 1 StPO aufzuheben sei.
2. Die Präsidentin des Landgerichts hat in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Präsidiums wie folgt Stellung genommen:
"Die Strafkammer 64 dient seit Jahren unter anderem auch als Erprobungs- und Ausbildungskammer.
Im Rahmen der sog. Kombinationserprobung werden im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Kammergerichts Richterinnen und Richter, die eine obergerichtliche Erprobung absolvieren werden oder bereits erfolgreich absolviert haben und noch nicht zur Vorsitzenden Richterin oder zum Vorsitzenden Richter ernannt worden sind, durch das Präsidium des Landgerichts im Rahmen der individuellen Personalentwicklung vorübergehend als Vertreterin oder Vertreter des Vorsitzenden eingesetzt.
Mit einer Ausnahme sind alle bisherigen Vertreterinnen und Vertreter im Vorsitz der Strafkammer 64 auf diese Weise erfolgreich erprobt worden und erfüllen damit die Voraussetzungen für eine Beförderung in das Amt einer Vorsitzenden Richterin bzw. eines Vorsitzenden Richters.
Herr Richter am Amtsgericht W wurde als Vertreter des Vorsitzenden eingesetzt."
3. Es ist senatsbekannt, dass Ri‚inLG Dr. I und RiAG W vor ihrem jeweiligen Einsatz in der Strafkammer 64 ihre Erprobung - nämlich im Senat - erfolgreich abgeschlossen hatten.
II.
Die Revision hat mit der erhobenen Verfahrensrüge Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils nebst den zugrundeliegenden Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
A) Die Verfahrensrüge ist zulässig.
1. Sie ist insbesondere in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise erhoben worden. Der Umstand, dass die Revision nicht mitteilt, aus welchen Gründen für die Strafkammer 64 kein Vorsitzender bestellt wurde, der au...