Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Auswirkungen der Fehlinterpretation einer optisch richtig wahrgenommenen Verkehrsregelung auf die Schuldform und zur rechtlichen Einordnung eines Ankündigungsschildes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Fehlinterpretation einer optisch richtig wahrgenommenen Verkehrsregelung stellt keinen Tatbestandsirrtum i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG, sondern einen Verbotsirrtum i.S.v. § 11 Abs. 2 OWiG dar, der insbesondere für Berufskraftfahrer in der Regel vermeidbar ist.

2. Bei einem Hinweisschild - hier ein rechteckiges Ankündigungsschild auf eine veränderte Verkehrsführung - handelt es sich nicht um eine verkehrserhebliche Anordnung.

3. Der Regelungsinhalt eines solchen Vorschriftszeichen besteht darin, die betroffenen Fahrzeugführer über die veränderte Verkehrsführung - hier wegen der aufgrund des maroden Zustandes eingeschränkten Befahrbarkeit einer Brücke - zu informieren und sie frühzeitig auf die spätere Anordnung des Durchfahrverbotes für einzelne Verkehrsarten hinzuweisen.

4. Erst die Missachtung des Verkehrszeichens und der Verkehrseinrichtungen zum Durchfahrverbot unmittelbar vor der Brücke begründet das bußgeldbewehrte Fehlverhalten des Betroffenen.

 

Normenkette

OWiG § 11 Abs. 2; StVO § 41 Abs. 1; StVO Anl. 2 Abschn. 6 Nrn. 27, 29 Zeichen 251

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 24.09.2019; Aktenzeichen 297 OWi 1531/18)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 24. September 2019 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Die Landeskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

 

Gründe

I.

Der Polizeipräsident in B. hat gegen den Betroffenen mit Bescheid vom 6. September 2018 wegen des Vorwurfes, dieser habe am 10. Juli 2018 vorsätzlich gegen ein durch Zeichen 251 mit Zusatzzeichen angeordnetes Verkehrsverbot verstoßen, indem er mit seinem LKW mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 7.5 Tonnen die K-fbrücke in B. befahren habe, ein Bußgeld von 500 Euro und zugleich ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt sowie eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet. Auf den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht ihn wegen der fahrlässigen Begehung der ihm mit dem Bußgeldbescheid vorgeworfenen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 [zu ergänzen: Abschnitt 6 lfd. Nr. 27, 29 Zeichen 251], 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO [zu ergänzen: 1 Abs. 1 und 2 BKatV i.V.m. Anlage I Nr. 141.1 BKat]; § 24 [zu ergänzen: Abs. 1] StVG zu einer Geldbuße von 75 Euro verurteilt. Das Amtsgericht hat dazu folgende Feststellungen getroffen:

"Am 10.07.2018 gegen 11.35 Uhr befuhr der Betroffene mit dem LKW DAF seines Arbeitgebers mit der zulässigen Gesamtmasse von 16 Tonnen und dem amtlichen Kennzeichen x die K-brücke in B. vom K.damm kommend. Dabei übersah er aus Unachtsamkeit das Zeichen 251 mit Zusatzzeichen "7,5 t", das direkt vor der K-brücke aufgestellt ist, sowie die am Beginn der Brücke auf einer gelben Linie auf der Fahrbahn angebrachten rot-weißen niedrigen Baken, obwohl er das Verkehrszeichen und die Verkehrseinrichtungen bei aufmerksamer Fahrweise hätte erkennen können und müssen."

Das Amtsgericht hat weiter festgestellt, dass der Betroffene zwar die Fahrt eingeräumt, aber die Beschilderung vor der Brücke nicht wahrgenommen hat, weil er sich "in erster Linie auf das Befahren der Brücke konzentriert habe". Der Betroffene hat sich noch ergänzend dahin gehend geäußert, dass er "das Hinweisschild an der K.-E.-Straße aufgrund einer Unsicherheit in der Abgrenzung zum Zeichen 261 nicht als einschlägig erachtet habe, da sein LKW bei einem Leergewicht von 6,9 Tonnen und einer Zuladung von nur 200 kg eine Gesamtmasse von 7,5 Tonnen nicht erreiche, so dass er nicht davon ausgegangen sei, dass das Verbot sein Fahrzeug betreffe".

Das Amtsgericht hat die Einlassung zur Wahrnehmung des Verkehrsschildes und der Verkehrseinrichtungen unmittelbar vor (Hervorhebung durch den Senat) der Brücke als unwiderlegbar bewertet und weiter ausgeführt, dass "es auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass ihm, dem Betroffenen (Ergänzung durch den Senat), zum Zeitpunkt des Befahrens der Brücke die Hinweistafel an der K.-E.-Straße nicht mehr im Bewusstsein war".

Die Missdeutung des Hinweisschildes stellt nach der rechtlichen Würdigung des Tatgerichts einen Tatbestandsirrtum dar, der zum Vorsatzausschluss führt. "Das vorwerfbare Übersehen des Zeichens 251 und der Verkehrseinrichtungen an der Brücke führt ebenfalls zur Annahme fahrlässiger Tatbegehung."

Gegen dieses Urteil wendet sich die Amtsanwaltschaft mit einer ausgeführten Sachrüge, die von der Generalstaatsanwaltschaft vertreten wird. Sie trägt vor, die Missdeutung des Zeichens 251 begründe lediglich einen - vermeidbaren - Verbotsirrtum i.S. von § 11 Abs. 2 OWiG, auch habe das Tatgericht die behauptete Verwechslung der Bedeutung des Verkehrsschildes nicht kritisch hinterfragt. F...

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