Leitsatz (amtlich)
1. Ein Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig, wenn die für die Frage der Entschuldigung maßgeblichen Tatsachen nicht lückenlos mitgeteilt werden, sodass nicht allein aufgrund dieser Ausführungen beurteilt werden kann, wie und gegebenenfalls durch welche Umstände es zu der Versäumung der Hauptverhandlung gekommen ist.
2. Den Angeklagten trifft an seinem verspäteten Erscheinen zur Berufungshauptverhandlung ein Verschulden, wenn er die allgemein bekannten und nicht seltenen Verzögerungen bei der Benutzung öffentlicher Nahverkehrsmittel sowie bei der Einlasskontrolle im Gericht nicht einplant.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 19.11.2020; Aktenzeichen (558) 281 AR 176/20 Ns (20/20)) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 30. November 2020 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 19. November 2020 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 10. Juni 2020 hat das Amtsgericht Tiergarten gegen den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt. Die Verwaltungsbehörde ist angewiesen worden, dem Angeklagten vor Ablauf von 24 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Die gegen das Urteil eingelegte Berufung hat das Landgericht mit Urteil vom 28. Oktober 2020 um 9.22 Uhr verworfen, nachdem zwar der Verteidiger, nicht aber der Beschwerdeführer zu der für diesen Tag um 9.00 Uhr anberaumten Hauptverhandlung erschienen war. Ausweislich eines Vermerks der Richterin von diesem Tag erschien der Angeklagte jedoch um 9.25 Uhr im Saal mit dem Bemerken, er habe den Saal nicht gefunden und die Mobilfunknummer des Verteidigers sei ihm nicht bekannt gewesen.
Mit am 3. November 2020 eingegangenem Schreiben vom selben Tag hat der Angeklagte Revision gegen das Urteil eingelegt und gleichzeitig beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung des Berufungshauptverhandlungstermins zu gewähren. Zur Begründung hat der Beschwerdeführer ausführen lassen, er sei bereits um 8.20 Uhr von seinem Wohnort mit der U-Bahn losgefahren. Es sei aber sowohl beim Umsteigen als auch später im Eingangsbereich des Kriminalgerichts, wo er gegen 8.50 Uhr angekommen sei, zu längeren Wartezeiten gekommen. Beim Einlass um 9.10 Uhr habe er erfahren, dass die Verhandlung in einem anderen Gebäude stattfinden würde. Auf dem Weg dorthin habe er sich verlaufen, sodass er erst um ca. 9.25 Uhr am Saal eingetroffen sei. Mit Schreiben vom 3. November 2020, bei Gericht eingegangen am Folgetag, hat der Beschwerdeführer die vorgetragenen Umstände nach seinem Eintreffen im Kriminalgericht eidesstattlich versichert.
Das Landgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung mit Beschluss vom 19. November 2020 als unzulässig verworfen und ausgeführt, dass es an der erforderlichen Glaubhaftmachung der zur Begründung des Antrages vorgebrachten Tatsachen fehle. Gegen diesen, seinem Verteidiger am 30. November 2020 zugestellten Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit der am selben Tag eingegangenen sofortigen Beschwerde.
II.
Die zulässige, gemäß §§ 329 Abs. 7, 46 Abs. 3 StPO statthafte und innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Versagung der Wiedereinsetzung, über die gemäß § 342 Abs. 2 StPO vorrangig vor der Revision zu entscheiden war, ist unbegründet. Das Landgericht hat den Antrag im Ergebnis zutreffend als unzulässig verworfen, weil es - unabhängig von der Frage ausreichender Glaubhaftmachung - an einem ausreichenden Tatsachenvortrag hinsichtlich eines anzuerkennenden Wiedereinsetzungsgrundes fehlt.
Die Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages nach den §§ 329 Abs. 7, 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StPO erfordert, dass der Angeklagte umfassend einen Sachverhalt vorträgt und glaubhaft macht, der ein Verschulden an seiner Säumnis ausschließen soll (vgl. Senat, Beschlüsse vom 30. September 2020 - 3 Ws 219/20 -, 18. November 2019 - 3 Ws 352/19 - und 26. Februar 2019 - 3 Ws (B) 75/19 -, beide juris m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 45 Rn. 5 m.w.N.). Zwar dürfen die Anforderungen an ein Wiedereinsetzungsvorbringen nicht überspannt werden (vgl. BerlVerfGH NJW 2004, 1158). Jedoch ist erforderlich, dass der Angeklagte dem Gericht die für die Frage der Entschuldigung maßgeblichen Tatsachen so vollständig mitteilt, dass es allein aufgrund dieser Ausführungen beurteilen kann, wie und gegebenenfalls durch welche Umstände es zu der Versäumung der Hauptverhandlung gekommen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 30. September, a.a.O.; KG, Beschluss vom 8. Oktober 2018 - 4 Ws 135/18 -).
Diesen Anforderungen genügt der Vortrag nicht.
1. Der Angeklagte hat mitgeteilt, er habe um 8.20 Uhr seine Wohnung in der X-Straße verlassen. Er sei mit der U-Bahn gefahren, einmal umgestiegen und habe dabei 8 Minuten auf den Anschlusszug warten müssen. Nach dem Verlassen der U-Bahn und einem Fußweg von etwa 800m sei er um 8.50 Uhr in der Y- Straße e...