Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht
Leitsatz (amtlich)
1. Allein dadurch, dass der Verteidiger nach Mandatsniederlegung dem Gericht die Wiederaufnahme des Mandats anzeigt, kann die Rechtsfolge des § 145a Abs. 1 StPO nicht (erneut) ausgelöst werden. Nach dem Erlöschen einer Vollmacht gelten die gleichen Formerfordernisse wie vor deren erstmaliger Vorlage bzw. gerichtlich protokollierter Erteilung; es bedarf mithin einer aktenkundigen, eine erneute Mandatierung ausweisenden Vollmachtsurkunde bzw. (nochmals) einer mündlich erklärten und im Sitzungsprotokoll beurkundeten Bevollmächtigung des Verteidigers durch den Angeklagten.
2. Eine wirksame Zustellung kann nicht nur über die Fiktion aus § 145a Abs. 1 StPO, sondern auch auf der Grundlage einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht erfolgen.
3. Liegt eine ausdrückliche Bevollmächtigung zur Entgegennahme von Zustellungen nicht vor, so ist die Frage, ob der Angeklagten und sein Verteidiger dahingehend übereingekommen sind, anhand der Gesamtheit der erkennbaren Umstände sowie des Auftretens des Rechtsanwalts im Verfahren zu entscheiden; auf das Vorliegen einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht kann auch aus konkludentem Verhalten geschlossen werden.
Normenkette
StPO § 145a Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 22.11.2019; Aktenzeichen (572) 236 Js 5627/15 Ns (103/18)) |
Tenor
Die Anträge des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. November 2019 sowie auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO werden als unzulässig zurückgewiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Antragsteller wegen Untreue in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Der Antragsteller hat hiergegen durch seinen mit Strafprozessvollmacht vom 27. August 2018 legitimierten Wahlverteidiger Berufung eingelegt. Dieser hat dem Gericht am 25. September 2019 die Niederlegung des Mandats angezeigt, dieses ausweislich schriftlicher Mitteilung vom 2. Oktober 2019 nachfolgend aber "wieder aufgenommen". In der Berufungshauptverhandlung vom 22. November 2019 ist der Verteidiger sodann für den - zum Termin nicht erschienenen - Angeklagten aufgetreten und hat dort eine Kopie der bereits bei den Akten befindlichen, auf den 27. August 2018 datierenden Vollmachtsurkunde vorgelegt, die als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll genommen wurde. Die Berufung des Antragstellers ist durch das Landgericht Berlin am 22. November 2019 unter anderem mit der Begründung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen worden, dass der Angeklagte nicht in zulässiger Weise durch seinen Verteidiger vertreten worden sei.
Hinsichtlich dieser (nur) seinem Verteidiger am 5. Dezember 2019 zugestellten Entscheidung hat der Antragsteller am 29. November 2019 gemäß § 329 Abs. 7 StPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und Revision eingelegt, ohne letztere im Folgenden jedoch zu begründen. Nach rechtskräftiger Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Landgericht Berlin die Revision des Antragstellers mit Beschluss vom 13. März 2020, (nur) dem Verteidiger des Angeklagten zugestellt am 18. März 2020, gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen und dies damit begründet, dass innerhalb der gesetzlichen Frist keine Revisionsbegründung eingegangen sei. Mit der hier verfahrensgegenständlichen undatierten, bei dem Landgericht Berlin am 1. April 2020 eingegangenen Erklärung "widerspricht" der Antragsteller dem Beschluss vom 13. März 2020. Er habe einen Rechtsanwalt gehabt, der aus seiner (des Antragstellers) Sicht seine Vertretung übernommen habe; er habe nicht wissen können, ob sein Verteidiger zugelassen sei oder nicht. Leider erreiche er diesen derzeit nicht, und es sei "in dieser besonderen Situation" auch schwierig, einen Rechtsbeistand zu finden, der dem Gericht antworten könne. Er bitte daher um "Fristverlängerung".
II.
1. Die Erklärung des Antragstellers ist in Bezug auf dessen Bitte um "Fristverlängerung" gemäß § 300 StPO als Antrag auf Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist aus § 345 Abs. 1 StPO auszulegen. Der Erklärung ist zu entnehmen, dass der Antragsteller das Verwerfungsurteil des Berufungsgerichts für rechtsfehlerhaft erachtet und insoweit ergänzend vortragen möchte. Derartiger Vortrag kann - nach rechtskräftiger Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags des Angeklagten - nur noch im Rahmen der Revision angebracht werden. Da die Frist für deren Begründung nicht, wie seitens des Antragstellers erbeten, verlängert werden kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 345 Rn. 2), ist sein Begehren entsprechend dem mit ihm verfolgten Rechtsschutzziel (vgl. Jesse in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 300 Rn. 6) als Antrag auf Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist auszulegen.
De...