Leitsatz (amtlich)
1. Allein der Umstand, dass dem Bußgeldbescheid keine ausdrückliche Angabe zur Schuldform zu entnehmen ist, steht der Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung in aller Regel nicht entgegen.
2. Die Verordnung zur Neufassung der Straßenverkehrsordnung vom 6. März 2013 verstößt nicht deshalb gegen das Zitiergebot, weil in der Eingangsformel der Hinweis auf einen Satzteil in § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG, nämlich „erster Halbsatz“, fehlt.
3. Will der Tatrichter das von der BKatV vorgesehene Regelfahrverbot nicht verhängen, so sind seinem Beurteilungsspielraum enge Grenzen gesetzt und die schriftlichen Urteilsgründe müssen konkrete Feststellungen enthalten, die die Annahme eines besonderen Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen. Das Absehen vom Fahrverbot muss dann auf einer eingehenden und nachvollziehbaren, auf Tatsachen gestützten Begründung beruhen.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 05.08.2020; Aktenzeichen (321 OWi) 3031 Js-OWi 2860/20 (332/20)) |
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. August 2020 wird gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.
2. Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. August 2020 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen, § 79 Abs. 6 OWiG.
Gründe
I.
Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen §§ 24 StVG, 1 Abs. 2, 49, 38 StVO eine Geldbuße von 320 Euro festgesetzt, ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Gegen den Bußgeldbescheid hat der Betroffene Einspruch eingelegt und diesen in der Hauptverhandlung "auf die Rechtsfolgenseite" beschränkt.
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht Tiergarten den Betroffenen zu einer Geldbuße von 400 Euro verurteilt. Von der Verhängung eines Fahrverbots ist abgesehen worden. Dem Urteil liegen folgende Feststellungen zugrunde:
"Der Betroffene unterließ es am 29. August 2019 um 9.55 Uhr in 10711 Berlin, BAB 100 Fahrtrichtung Nord Lima 2490, als Führer des Pkw Suzuki mit dem amtlichen Kennzeichen einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu schaffen. Es kam zu einem Unfall."
Zur Bemessung der Rechtsfolgen hat das Amtsgericht ausgeführt:
"Bei der Bemessung der Buße hat sich das Gericht an der Regelbuße nach 135.2 Bkat orientiert, die 320 € beträgt. Das Gericht hat - da es hier um ein Augenblicksversagen ging, und der Betroffene auch ortsfremd ist und in der Situation überfordert war ausnahmsweise von der Verhängung des Regelfahrverbotes von einem Monat abgesehen. Der Betroffene ist verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Insoweit sieht dass (offensichtlich gemeint: es) das Gericht als ausreichend an, ihn als Fahrzeugführer auf seine Pflichten allein durch die Verhängung einer empfindlichen Geldbuße zu erreichen und hat diese auf 400 € festgesetzt."
Gegen das Urteil wenden sich sowohl der Betroffene als auch die Amtsanwaltschaft mit der Rechtsbeschwerde.
Der Betroffene hat die Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und lässt im Rahmen der Sachrüge ausführen, die aktuellen Vorgaben der StVO und des Bußgeldkatalogs seien nicht anwendbar. Anwendbar seien vielmehr die Vorschriften der StVO vor 2009.
Die Amtsanwaltschaft rügt mit der auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde, die von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vertreten wird, dass das Amtsgericht kein Fahrverbot verhängt hat. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 3 OWiG statthaft.
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat in der Sache keinen Erfolg.
a) Die von Amts wegen zu prüfende Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ist gemäß § 67 Abs. 2 OWiG zulässig und wirksam. Der zugrundeliegende Bußgeldbescheid erfüllt die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 OWiG. Der Umstand, dass dem Bußgeldbescheid keine ausdrückliche Angabe zur Schuldform zu entnehmen ist, steht der Wirksamkeit der Beschränkung nicht entgegen. Denn die im Bußgeldbescheid erfolgte Festsetzung der Rechtsfolge (Geldbuße von 320,- Euro und Fahrverbot von einem Monat) unter Bezugnahme auf die Nummer "135.2 BKat" (der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKat, Abschnitt I) lässt erkennen, dass die nach der Bußgeldkatalogverordnung vorgesehene Regelbuße verhängt worden ist, bei der von fahrlässiger Begehungsweise und gewöhnlichen Tatumständen auszugehen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Januar 2014 - 3 Ws (B) 652/13 -, BeckRS 2016, 15101 m.w.N.).
b) Auf die Wirksamkeit der am 28. April 2020 in Kraft getretenen 54. Verordnung zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. April 2020 (BGBl. I, S. 814) kommt es nicht an,...