Leitsatz (amtlich)

1. Eine gesetzliche Sonderzuständigkeit nach §§ 72a, 119a GVG kann auch dann begründet sein, wenn ein unter die Vorschriften fallender Anspruch erst nachträglich durch eine Klageerweiterung oder eine Widerklage in den Rechtsstreit eingeführt wird. Der Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) steht dem nicht entgegen, weil er einen unveränderten Streitgegenstand voraussetzt (Festhaltung an KG, Beschluss vom 19. Oktober 2020 - 2 AR 1038/20).

2. Werden im Rahmen einer Klage und einer Widerklage Ansprüche geltend gemacht, die unterschiedlichen Fallgruppen von §§ 72a, 119a GVG zugehörig sind, bestimmt sich der gesetzlich zuständige Spruchkörper danach, auf welcher der in §§ 72a, 119a normierten Sonderzuständigkeiten der Schwerpunkt des Rechtsstreits liegt.

 

Normenkette

GVG §§ 72a, 119a; ZPO §§ 33, 36 Abs. 1 Nr. 6

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 39 O 146/22)

LG Berlin (Aktenzeichen 25 O 126/22)

 

Tenor

Eine Zuständigkeitsbestimmung wird abgelehnt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten im Wege der Klage und Widerklage um die Erfüllung eines Kaufvertrags über zwei zu errichtende Eigentumswohnungen. Die Kläger schlossen am 17. Juni 2016 einen entsprechenden notariellen Kaufvertrag nebst Bauverpflichtung mit einer D. GmbH & Co. KG. Aufgrund dieses Kaufvertrags wurden für die Kläger Auflassungsvormerkungen in das Grundbuch eingetragen. In der Folge wurde mit einem Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 27. Januar 2021 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Verkäuferin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

Mit einer am 9. August 2022 beim Landgericht Berlin eingegangen Klage nehmen die Kläger den Beklagten auf Erklärung der Auflassung und Bewilligung ihrer Eintragung als hälftige Eigentümer ins Grundbuch in Anspruch. Die Sache ist beim Landgericht zunächst der Zivilkammer 39 als Kammer für Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen zugewiesen worden. Mit seiner Klageerwiderung vom 7. November 2022 hat der Beklagte eine Widerklage mit den Anträgen angekündigt, die Kläger zur Bewilligung der Löschung der eingetragenen Auflassungsvormerkungen zu verurteilen, wobei er den Löschungsanspruch in erster Linie auf eine Insolvenzanfechtung stützt. Die bis dahin mit der Sache befasste Zivilkammer 39 hat das Verfahren hierauf mit einem Vermerk vom 9. November 2022 an die für insolvenzrechtliche Streitigkeiten zuständigen Kammern des Landgerichts abgegeben. Zur Begründung hat sie auf eine Bestimmung des Geschäftsverteilungsplans des Landgerichts verwiesen, wonach bei einer konkurrierenden Zuständigkeit mehrerer Kammern diejenige mit der niedrigsten Ordnungsnummer zuständig sei.

Die hierauf mit der Sache als Kammer für insolvenzrechtliche Streitigkeiten befasste Zivilkammer 25 hat mit einer Verfügung vom 21. November 2022 die Parteien zur Frage der funktionellen Zuständigkeit angehört und dabei den Widerklageschriftsatz formlos an die Kläger mit dem ausdrücklichen Hinweis übermittelt, dass die Übersendung ausschließlich zum Zwecke der Anhörung geschehe und eine Rechtshängigkeit der Widerklage damit nicht begründet werden solle. Mit einem Beschluss vom 21. Dezember 2022 hat sich die Zivilkammer 25 sodann für funktional unzuständig erklärt und die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, dass Regelungen des Geschäftsverteilungsplan zur Bestimmung gesetzlicher Zuständigkeiten nicht herangezogen werden könnten und sich die Zuständigkeit der für Bausachen zuständigen Kammern im Übrigen bereits aus einer entsprechenden Anwendung von § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO ergebe.

I. 1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen. Auch wenn eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO in der hier vorliegenden Konstellation grundsätzlich in Betracht kommt, liegen die hierfür erforderlichen Voraussetzungen derzeit aber nicht vor. Zwar setzt die zitierte Bestimmung nach ihrem Wortlaut voraus, dass sich verschiedene Gerichte (und nicht einzelne Spruchkörper) rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Allerdings ist die Vorschrift entsprechend anwendbar, wenn mehrere Spruchkörper des gleichen Gerichts um ihre Zuständigkeit streiten und die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, sondern von einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung abhängt. Dies gilt nach allgemeiner Auffassung auch für die von dem Gesetzgeber neu geschaffenen §§ 72a, 119a GVG (BGH, Beschluss vom 26. Juli 2022 - X ARZ 3/22, NJW 2022, 2936 Rn. 12 ff.; Senat, Beschluss vom 22. März 2018 - 2 AR 11/18, NJW-RR 2018, 212; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. April 2018 - 13 SV 6/18; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juni 2018 - 1 AR 990/18, MDR 2018, 1015; Zöller/Lückemann, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 72a GVG Rn. 2; Klose MDR 2017, 793 [795]).

Einer Zuständigkeitsbestimmung steht hier jedoch entgegen, dass sich die an dem negativen K...

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