Normenkette

StGB § 185; BRAO § 1

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 08.10.2008; Aktenzeichen (568) 93 Ns 3022 PLs 6313/07 (7/08))

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Oktober 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 19. November 2007 wegen Beleidigung zum Nachteil des Rechtsanwalts Wandelt zu einer Geldstrafe verurteilt. Die unbeschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht verworfen.

1. Die Berufungskammer hat folgende Feststellungen getroffen:

Im Rahmen eines im Jahr 2006 vor dem Amtsgericht Schöneberg anhängigen Zivilverfahrens nicht näher bekannten Gegenstands, in dem der Angeklagte Beklagter und sein Vermieter Kläger war, trug dessen Prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt W----- mit Schriftsatz vom 31. August 2006 umfangreich vor. In diesem, vom Landgericht auf über fünf Seiten wörtlich wiedergegebenen Schriftsatz finden sich unter anderem folgende Ausführungen: "Sämtliche Behauptungen des Beklagten stellen eine grobe Verdrehung der Tatsachen dar oder sind schlicht und einfach erlogen" (UA S. 6). Der Angeklagte habe sich während des zugrunde liegenden Konflikts mit den Eheleuten H--- an einem Tag "grölend und pöbelnd" (UA S. 7) aufgeführt, seine Kontrahenten mitunter auch geschlagen und wiederholt mit Pfefferspray besprüht (UA S. 7, 8); der Angeklagte nutze "jede Chance, die Eheleute H---- zu beschimpfen, zu beleidigen und zu provozieren" (UA S. 8), seine Behauptungen stellten zum Teil "schlichtweg eine Verleumdung" dar (UA S. 10) und "die haltlosen und nachweisbar unwahren Behauptungen des Beklagten (würden) die Grenze zu strafbarem Handeln überschreiten" (UA S. 11).

Der Angeklagte erwiderte auf diesen Schriftsatz mit dem hier in Rede stehenden Schreiben vom 16. September 2006, welches das Landgericht - nur auszugsweise - wie folgt wiedergegeben hat:

(...) Herr W----- agiert hier - wie in seinen Schriftsätzen zuvor bereits im Zivilverfahren am AG Schöneberg der Frau H---- D----- gegen die Hauswartsleute H-- - in komplizenhafter Manier auf tiefstem Gossenniveau wie seine Mandanten in vorliegender Sache.

Eine solche abenteuerliche Verdrehung der Tatsachen in verwerflichster Absicht, besseren Wissens und Skrupellosigkeit erlebt man wahrlich nicht alle Tage und schon gar nicht von einem "Organ der Rechtspflege" (...).

2. Zur Begründung ihrer Entscheidung hat die Kammer ausgeführt: Mit diesen ehrverletzenden Äußerungen habe der Angeklagte das zulässige Maß dessen überschritten, was in einem Rechtsstreit im Rahmen der Rechtsverfolgung oder -verteidigung an auch starken, eindringlichen Ausdrücken erlaubt sei. Der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB komme ihm deshalb nicht zugute. Insbesondere die Wendung "tiefstes Gossenniveau" und die Verwendung der Anführungsstriche bei der Bezeichnung Organ der Rechtspflege erschöpften sich in reiner Unmutsäußerung und einer Generalabrechnung mit dem Geschädigten. Dem Angeklagten sei es "ersichtlich" nicht um eine sachliche Auseinandersetzung mit dem geschädigten Rechtsanwalt in dessen Eigenschaft als Prozessbevollmächtigter der Gegenseite gegangen, sondern lediglich darum, seine persönliche Missachtung gegenüber Rechtsanwalt W--------- zum Ausdruck zu bringen.

3. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen

II.

Die Revision des Angeklagten hat mit der zulässigen Sachrüge (vorläufigen) Erfolg. Die bislang vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Beleidigung nicht.

1. Im Ergebnis zu Recht hat die Kammer angenommen, dass der Angeklagte durch seine Äußerungen, Rechtsanwalt W----- agiere "in komplizenhafter Manier auf tiefstem Gossenniveau" und die (vom Angeklagten angenommene abenteuerliche) Verdrehung von Tatsachen sei "in verwerflichster Absicht" sowie "(wider) besseren Wissens" geschehen sowie von "Skrupellosigkeit" getragen, den Tatbestand der Beleidigung (§ 185 StGB) verwirklicht hat. Gleiches gilt für die Verwendung der Anführungsstriche bei der Bezeichnung Organ der Rechtspflege, als das der Geschädigte von Gesetzes wegen anzusehen ist (§ 1 BRAO).

a) Für die Beurteilung ist allerdings zunächst die vom Landgericht nicht näher betrachtete Frage von Bedeutung, ob es sich bei den in Rede stehenden Äußerungen um Tatsachenbehauptungen oder um die Kundgabe von Werturteilen - mithin Meinungen - handelt (vgl. BVerfG NJW 2000, 199, 200; BayObLG NStZ-RR 2002, 40f; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 7; KG StV 1997, 485, 486; Senat, Beschluss vom 16. Mai 2008 - [4] 1 Ss 121/06 [242/06] -).

Die Zulässigkeit von Tatsachenbehauptungen hängt in erster Linie von ihrem Wahrheitsgehalt ab; ihr Schutz endet dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können...

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