Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 102 O 20/01) |
Tenor
Das Gesuch des Beklagten, den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. med. W.wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.
Gründe
Das zulässige Ablehnungsgesuch des Beklagten ist nicht begründet, § 406 ZPO.
I. Nach § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen (§ 42 Abs. 2 ZPO), abgelehnt werden. Für die Besorgnis der Befangenheit ist es nicht erforderlich, dass der vom Gericht beauftragte Sachverständige parteiisch ist oder das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat. Vielmehr rechtfertigt bereits der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Dieser Anschein muss sich auf Tatsachen oder Umstände gründen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH, GRUR-RR 2008, 365, juris Rz. 2 m.w.N.). Insbesondere dürfen Äußerungen eines Sachverständigen nicht den Eindruck erwecken, er sei in der Sache festgelegt und nicht mehr bereit, innerlich frei an die Beurteilung heranzugehen (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 10.5.2002 - 5 W 47/02, juris Rz. 2). Ebenso wenig dürfen Äußerungen eines Sachverständigen als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden können (BGH, Beschl. v. 15.3.2005 - VI ZB 74/04, juris Rz. 12; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 21.5.2007 - 4 L 17.05, juris Rz. 2).
II. Vorliegend fehlen (vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus) genügende objektive Gründe, die in den Augen eines vernünftigen Dritten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit und Objektivität des Sachverständigen Prof. ...geben.
1. Danach begründet es keine Besorgnis der Befangenheit, wenn der Sachverständige in seinem Gutachten vom 5.1.2011 (Seite 29) vom Beklagten publizierte Untersuchungsergebnisse als wahrscheinlich "einfache toxische Wirkungen im künstlichen Zellkultursystem" wertet. Denn diese Schlussfolgerung trifft der Sachverständige erst nach einer näheren Betrachtung der in den streitgegenständlichen Publikationen zur Untersuchung von Zellkulturen herangezogenen Methoden (die als relativ einfach und in erheblichem Maß störungs- und artefaktanfällig angesehen werden) und beschriebenen Ergebnissen (die [nach näherer Erörterung des Sachverständigen] erstaunlicherweise mehr oder weniger ausschließlich die immer gleichen gewesen sein sollen). Der Beklagte mag insoweit wissenschaftlich anderer Auffassung sein. Als Teil einer nachprüfbaren Kritik des Sachverständigen, die in einem engen Zusammenhang mit dem Gutachtenauftrag steht, lässt die eingangs genannte Schlussfolgerung keine fehlende Unvoreingenommenheit oder Objektivität des Sachverständigen erkennen oder auch nur befürchten.
2. Dies gilt ebenso für die Schlussfolgerung des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 5.1.2011 (Seite 30f), es sei "entweder wissenschaftlich naiv oder - wenn wie im vorliegenden Fall daraus Schlussfolgerungen und Empfehlungen für den kranken Menschen gezogen werden - verantwortungslos", wenn in den streitgegenständlichen Publikationen aus Ergebnissen (gewonnen aus der künstlichen Situation der Zugabe von Bestandteilen zu einer Zellkultur) ohne weiteres Rückschlüsse auf eine Wirksamkeit dieser (über den Verdauungstrakt aufzunehmenden) Bestandteile für die konkrete Krankheitssituation am Menschen gezogen werden. Denn auch diese Schlussfolgerung gründet der Sachverständige unter näherer Erläuterung darauf, dass die über den Verdauungstrakt des Menschen aufgenommenen Bestandteile (anders als im Zellkultur-Experiment) in den komplexen Stoffwechsel des Gesamtorganismus eingingen. Auch dies mag der Beklagte wissenschaftlich anders sehen. Dennoch basiert die Kritik des Sachverständigen - so deutlich sie auch formuliert sein mag - auf einer nachvollziehbaren und nachprüfbaren Begründung. Diese Kritik ist Teil einer sachlich begründeten Auseinandersetzung, mit den vom Beklagten durchgeführten Untersuchungen.
3. Nichts anderes gilt für die Aussage des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 5.1.2011 (Seite 27), die in streitgegenständlichen Publikationen auch angewandte Methode der Aufteilung eines zusammenhängenden experimentellen Komplexes in mehrere separat veröffentlichte sog. kleinste publizierbare Einheiten sei ein "zwar nicht verbotenes, aber durchaus verwerfliches Gift für eine transparente, auf Inhalte und Qualität anstelle von Quantität gerichtete Publikationskultur". Insoweit greift der Sachverständige auf seine Ausführungen im Einzelnen zu den streitgegenständlichen Publikationen zurück (etwa Seite 16 zu Nr. 39 und Seite 18 zu Nr. 30, 29) und würdigt ein dabei festgestelltes Publikationsverhalten des Beklagten kritisch. Diese Kritik basiert ebenfalls auf nachvollziehbaren und nachprüfbaren Umständen, mag auch der Beklagte dieser Kritik nicht...