Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen bei Würdigung eines Geständnisses. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bei Festkleben auf Fahrbahn
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
1. Um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlich-rechtliche Fehler hin überprüfen zu können, bedarf es einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten. Der bloße Hinweis, das Geständnis entspreche dem "aktenkundigen Ermittlungsergebnis", genügt dafür nicht.
2. Eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB kommt auch dann in Betracht, wenn sich der Täter bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber o.ä. festklebt, um die von ihm erwartete alsbaldige polizeiliche Räumung der Fahrbahn nicht nur unwesentlich zu erschweren.
3. Um ein gezieltes Verhalten des Täters vom bloßen Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses abzugrenzen, muss in derartigen Fallgestaltungen der Wille des Täters dahin gehen, durch seine Tätigkeit den Widerstand vorzubereiten.
4. Dass Polizeibeamte das durch Festkleben entstandene physische Hindernis durch Geschicklichkeit - hier unter Verwendung eines Lösungsmittels - zu beseitigen in der Lage sind, steht dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegen und nimmt ihm in Bezug auf den dem Vollstreckungsbeamten nicht ohne weiteres die körperliche Spürbarkeit.
Normenkette
StPO § 267; StGB § 113 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 12.01.2023; Aktenzeichen (323 Cs) 237 Js 2250/22 (159/22)) |
Tenor
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 12. Januar 2023 mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagte am 12. Januar 2023 wegen "gemeinschaftlich begangener" Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20,- € verurteilt. Ferner wurde der beschlagnahmte Sekundenkleber eingezogen.
Nach den getroffenen Feststellungen beteiligte sich die ledige Angeklagte, die Studentin ist und eine Halbwaisenrente in unbekannter Höhe bezieht, von 8:00 bis 9:40 Uhr auf dem Autobahnzubringer A 111 im Bereich K.-Damm/H.Damm in B. an einer Straßenblockade der Gruppierung "Aufstand der letzten Generation", bei der sich sie und drei weitere Personen aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans auf die Fahrbahn der viel befahrenen Straße setzten, um so die auf der Straße befindlichen Fahrzeugführer bis zur Räumung der Blockade durch Polizeibeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern. Wie von ihr beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade bis zu deren Auflösung zu einer erheblichen Verkehrsbeeinträchtigung in Form eines ca. 60 Minuten andauernden Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge über mehrere hundert Meter. Zur Erschwerung der erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade befestigte sie zeitgleich ihre rechte Hand mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn, so dass die Polizeibeamten sie erst nach Lösung des Klebstoffs, die eine bis eineinhalb Minuten in Anspruch nahm, von der Straße tragen konnten.
Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht ausgeführt, die getroffenen Feststellungen beruhten (auch) auf dem Geständnis der Angeklagten, das dem aktenkundigen Ermittlungsergebnis entspreche (UA S. 3). Die Einlassung der Angeklagten hat es wie folgt wiedergegeben (UA S. 3):
"Die Angeklagte ist der Ansicht, dass ihre Tathandlung entweder schon tatbestandlich wegen fehlender Verwerflichkeit bzw. keine Widerstandshandlung sei oder die Tat jedenfalls angesichts des gegenwärtigen Klimawandels gerechtfertigt sei, um durch diese Aktion die Bundesregierung zu weiteren Maßnahmen gegen den Klimawandel aufzurufen. Ziel der Aktion sei nicht die Blockade, sondern eine vernünftige Klimapolitik. Die Freiheitsrechte der Kraftfahrer seien angesichts des überragenden Klimaschutzes nicht wesentlich beeinträchtigt worden; die Einschränkungen der Kraftfahrer seien angemessen und verhältnismäßig gewesen. Die gesamte Aktion sei gewaltfrei verlaufen, auch sei niemand beleidigt worden."
Zur Verwerflichkeit der Tat im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB hat das Amtsgericht ausgeführt, unter Berücksichtigung der Vielzahl der beeinträchtigten Personen, der fehlenden Ankündigung der Aktionen, der jeweils teilweisen Dringlichkeit der blockierten Transporte und des fehlenden konkreten Sachbezugs zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand müsse die Versammlungsfreiheit im Rahmen der Gesamtabwägung zurücktreten.
Im Rahmen der Strafzumessung hat das Amtsgericht zur Höhe des einzelnen Tagessatzes mitgeteilt, es habe das Einkommen schätzen müssen. Es sei davon auszugehen, dass der Angeklagten als Studentin mit der Halbwai...