Leitsatz (amtlich)
1. Wird gerügt, das Gericht habe unter Verstoß gegen § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG ohne Dolmetscher verhandelt, bedarf es des Vortrags, ob der Betroffene der deutschen Sprache nicht oder nur teilweise mächtig war. War ein Angeklagter/Betroffener nur teilweise der deutschen Sprache mächtig, sind zudem genaue Angaben der einzelnen Umstände, die bei einem wesentlichen Verfahrensteil die Zuziehung eines Dolmetschers geboten, erforderlich.
2. Für die Frage, ob eine unwiderrufliche Prozesserklärung (hier Rechtsmittelbeschränkung) unwirksam ist, kommt es hinsichtlich etwaiger Willensmängel auf denjenigen an, der die Prozesserklärung abgegeben hat.
3. Ob eine wirksame Ermächtigung des Verteidigers zur Rechtsmittelrücknahme vorliegt, kann sich ausnahmsweise auch aus den Umständen des Einzelfalls ergeben. Indiz für eine Ermächtigung kann auch die in einer anwaltlichen Vollmachtsurkunde enthaltene Befugnis zur Rechtsmittelrücknahme sein.
Normenkette
GVG § 187 Abs. 1 S. 1; StPO § 302 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 30.11.2021; Aktenzeichen (306 OWi) 3012 Js-OWi 4775/21 (650/21)) |
Tenor
1. Der auf die Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 30. April 2021 bezogene Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird als unzulässig verworfen.
2. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 30. November 2021 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Durch Bußgeldbescheid vom 30. April 2021 hat der Polizeipräsident in B. gegen den Betroffenen wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes eine Geldbuße von 200,- Euro verhängt und zugleich ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet. In dem behördlichen Bußgeldverfahren hatte sich zuvor der Verteidiger des Betroffenen unter Vorlage einer unter dem 11. März 2021 ausgestellten Vollmacht, die ihn unter anderem zur Einlegung und Rücknahme von Rechtsmitteln befugt, gemeldet und Akteneinsicht beantragt.
Gegen den Bußgeldbescheid hat der Betroffene form- und fristgerecht Einspruch eingelegt. In der daraufhin durch das Amtsgericht T. auf den 31. August 2021 anberaumten Hauptverhandlung erklärte der Verteidiger die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen. Diese in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommenen Erklärung ist mit dem Zusatz "v.u.g." (Anmerkung des Senats: Diese Kurzform entspricht dem Text "vorgelesen und genehmigt", der üblichen Abkürzung für die nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 273 Abs. 3 Satz 1 StPO vorzunehmende Protokollierung und Verlesung einer verfahrensbedeutsamen Prozesserklärung). Die Hauptverhandlung vom 31. August 2021 hat das Amtsgericht mit der Begründung ausgesetzt, dem Betroffenen solle Gelegenheit gegeben werden, "zu einer etwaigen Kompensation" vorzutragen und entsprechende Unterlagen vorzulegen.
In der durch das Amtsgericht auf den 30. November 2021 anberaumten Hauptverhandlung wurde der Angeklagte sodann zu einer Geldbuße von 200,- Euro verurteilt. Zugleich hat das Amtsgericht ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die er auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge stützt. Er rügt, das Amtsgericht habe nicht in der Sache entscheiden dürfen, weil er nur über "rudimentäre" Deutschkenntnisse verfüge, gleichwohl aber keinen Dolmetscher hinzugezogen. Deswegen habe er auch keine Erklärung zur Beschränkung des Einspruchs abgeben können. Davon, dass das Gericht die Beschränkungserklärung im Protokoll als vorgelesen und genehmigt aufgenommen habe, habe sein Verteidiger nichts mitbekommen. Daneben hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu wie zum Rechtsbeschwerdevorbringen vorgetragen.
Hinsichtlich der Einzelheiten seines Vortrags wird auf die Schriftsätze des Verteidigers vom 3. Januar, 21. Februar und 15. März 2022 Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist nicht statthaft und deswegen unzulässig. § 44 Satz 1 StPO setzt tatbestandlich voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter eine Frist versäumt hat. Das ist hier offenkundig nicht der Fall, denn der Betroffene trägt lediglich vor, er habe die Protokollierung nebst Verlesung der von seinem Verteidiger erklärten Rechtsmittelbeschränkung mangels Sprachkenntnissen nicht verstanden und sein Verteidiger habe diesen Vorgang "nicht mitbekommen". Eine Frist im Sinne von § 44 Satz 1 StPO hat er daher nicht versäumt. Der Beschwerdeführer verkennt, dass das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht die Möglichkeit eröffnet, nachträglich von den Folgen einer wirksamen Prozesserklärung Abstand nehmen zu können, mag sie ihm im Nachhinein auch unliebsam erscheinen.
2. Die Rechtsbeschwerde ist nach Maßgabe von §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO offensichtlich unbegründet. Dazu merkt der Senat an:
a) Soweit der Betroffene rügt, die Hauptverhandlung vom 30. November 2021 sei ohne...