Leitsatz (amtlich)

1. Versieht das Amtsgericht das Urteil rechtsfehlerhaft nicht mit Entscheidungsgründen, führt dies allein nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde.

2. Erforderlich ist auch in einem solchen Fall die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 80 Abs. 1 OWiG, und zwar anhand des Bußgeldbescheides, des Zulassungsantrages und sonstigen Umständen.

3. Die bei Nichtvorliegen von Urteilsgründen lediglich nicht auszuschließende Möglichkeit, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde geboten sein kann, ersetzt nicht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 OWiG.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 04.02.2020; Aktenzeichen 288 OWi 1344/19)

 

Tenor

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 4. Februar 2020 wird verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seiner nach § 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG als zurückgenommen geltenden Rechtsbeschwerde zu tragen (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Gründe

Der Senat merkt lediglich an:

Entgegen § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 1 StPO enthält die Rechtsmittelschrift schon keine Rechtsbeschwerdeanträge. Insoweit geht der Senat in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 300 StPO davon aus, dass der Betroffene unter Beanstandung sachlichen Rechts das Urteil insgesamt anficht und dessen Aufhebung sowie die Zurückverweisung der Sache erstrebt.

Mit Blick auf die Höhe der Geldbuße bedarf die Rechtsbeschwerde hier der Zulassung, die nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zur Wahrung des rechtlichen Gehörs erfolgen kann. Der Zulassungsantrag war jedoch zu verwerfen, da kein Zulassungsgrund im Sinne des § 80 Abs. 1 OWiG vorliegt.

1. Die allgemeine Sachrüge erfordert die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des sachlichen Rechts nicht, weil der vorliegende Einzelfall keine Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen. Klärungsbedürftige Fragen des materiellen Rechts sind nicht ersichtlich.

Der auf die Sachrüge zu beachtende Umstand, dass das Amtsgericht das Urteil nicht mit Entscheidungsgründen versehen hat, obwohl kein Anwendungsfall des § 77b OWiG gegeben ist, führt allein nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde (BGHSt 42, 187, Senat, Beschluss vom 22. November 2010 - 3 Ws (B) 585/10 -; OLG Düsseldorf DAR 2020, 49; OLG Celle, Beschluss vom 2. November 2017 - 3 Ss (OWi) 231/17 -, BeckRS 2017, 131691; OLG Brandenburg, Beschluss vom 21. November 2011 - 53 Ss-OWi 450/11 -, BeckRS 2011, 26750; OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. August 2009 - 5 Ss 1249/09 -, juris).

Dass vorliegend ein mit Gründen versehenes Urteil innerhalb von fünf Wochen zu den Akten zu bringen war, folgt bereits aus der gesetzlichen Regelung gemäß den §§ 46 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1, 275 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO und betrifft insoweit keine Rechtsfrage, die entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und abstraktionsfähig ist (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).

Die bei rechtsfehlerhaftem Nichtvorliegen von Urteilsgründen lediglich nicht auszuschließende Möglichkeit, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde geboten sein kann, ersetzt nicht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 OWiG (vgl. BGH, Senat und OLG Brandenburg jeweils a.a.O.). Dies heißt indes nicht, dass das Fehlen von Urteilsgründen im Einzelfall nicht zur Begründetheit des Zulassungsantrages führen kann (vgl. BGH, Senat und OLG Brandenburg jeweils a.a.O.). Erforderlich ist in einem solchen Fall die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 80 Abs. 1 OWiG anhand des Bußgeldbescheides, des Zulassungsantrages und sonstigen Umständen, wie zum Beispiel nachgeschobenen Gründen oder dienstlichen Äußerungen (vgl. BGH, Senat und OLG Brandenburg jeweils a.a.O.). Denn auf die erhobene Sachrüge können die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde häufig ohne Kenntnis von Urteilsgründen geprüft werden (BGH a.a.O.). Dies gilt insbesondere bei massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einfacher Verkehrsordnungswidrigkeiten, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten aufzeigen und bei denen nach den Gesamtumständen ausgeschlossen werden kann, dass die Zulassungsvoraussetzungen nach § 80 OWiG vorliegen (BGH, Senat und OLG Brandenburg jeweils a.a.O.). All dies folgt schon daraus, dass es sich bei dem Zulassungsverfahren um ein Vorschaltverfahren handelt (vgl. Hadamitzky in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., Rdn. 5), bei dem ermittelt wird, ob ein Rechtsbeschwerdeverfahren durchzuführen ist (vgl. OLG Brandenburg a.a.O.).

Kann jedoch bei tatsächlich und rechtlich schwierigen Ordnungswidrigkeiten ohne Kenntnis der Urteilsgründe nicht ohne weiteres beurteilt werden, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen, und können solche Zweifel auch nicht unter Heranziehung der oben genannten Erkenntnismöglichkeiten ausgeräumt werden, so führt in einem solche...

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