Leitsatz (amtlich)
1. An die Wahrscheinlichkeit des künftigen Wohlverhaltens eines "Erstverbüßers" ist dann ein strengerer Maßstab anzulegen, wenn er bewährungsbrüchig geworden ist und dadurch bewiesen hat, daß der von ihm vermittelte günstige Eindruck falsch war.
- 2. Das Gesetz sieht Vorgaben oder Fristen für den Zeitpunkt der ablehnenden Entscheidung über die Reststrafenaussetzung nach § 57 Abs. 1 StGB grundsätzlich nicht vor.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 04.04.2006) |
Tenor
Die sofortigen Beschwerden des Verurteilten gegen die gleichlautenden Beschlüsse des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 4. April 2006 werden verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.
Gründe
Der Beschwerdeführer verbüßt nacheinander aus den Urteilen
a)
des Schöffengerichts Strausberg - 5 Ls 282 Js 50199/02 (6/03) - vom 19. Februar 2004, rechtskräftig hinsichtlich der festgestellten Tatsachen und angewandten Rechtsvorschriften seit dem 13. Mai 2004 und im Rechtsfolgenausspruch seit dem 26. Juli 2004, eine Gesamtfreiheitsstrafe von "18 Monaten" (einem Jahr und sechs Monaten, § 39 StGB) wegen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung und wegen fahrlässigen Vollrausches und
b)
des Amtsgerichts Strausberg - 5 Ds 256 Js 28459/04 (908/04) - vom 10. Januar 2005, rechtskräftig seit dem 18. Januar 2005, eine Freiheitsstrafe von acht Monaten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 2. Februar 2005 in Haft. Die Hälfte der Strafe aus dem unter a) genannten Urteil war am 1. November 2005 verbüßt. Von der Strafe aus dem unter b) aufgeführten Urteil waren am 11. April 2006 zwei Drittel vollstreckt. Gemeinsamer Zweidrittelzeitpunkt ist der 9. Juli 2006; das gemeinsame Strafende ist auf den 31. März 2007 notiert.
Mit den angefochtenen Beschlüssen vom 4. April 2006 hat die Strafvollstreckungskammer es abgelehnt, die Vollstreckung der Reststrafen zum "kombinierten Halbstrafen- und Zweidrittelzeitpunkt" am 11. April 2006 oder zum gemeinsamen Zweidrittelzeitpunkt am 9. Juli 2006 zur Bewährung auszusetzen. Die sofortigen Beschwerden des Verurteilten sind statthaft (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) und rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO), haben jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1.
Die Strafvollstreckungskammer hat die beantragte Reststrafenaussetzung zum "kombinierten Halbstrafen- und Zweidrittelzeitpunkt" - es handelt sich der Sache nach um den gemeinsamen Halbstrafenzeitpunkt, der aufgrund der Mindestverbüßungsdauer in § 454 b Abs. 2 Nr. 1 StPO und in § 57 Abs. 2 StGB den Zwei-Drittel-Zeitpunkt in einem der Verfahren erreicht - zu Recht abgelehnt. Auch der Senat vermag dem Beschwerdeführer derzeit die für eine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft erforderliche günstige Prognose (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) nicht zu stellen.
Der Grundsatz, daß bei einem Erstverbüßer im allgemeinen erwartet werden kann, der Strafvollzug übe eine deutliche Wirkung aus und halte ihn von der Begehung weiterer Straftaten ab (vgl. KG NStZ-RR 1997, 27; std. Rspr.), kommt vorliegend nicht zum Tragen. Dieser Grundsatz erfährt wegen der vom Gesetzgeber in den Vordergrund gestellten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit eine Einschränkung, wenn besondere Umstände vorliegen. Denn in welchem Maß es wahrscheinlich sein muß, daß der Täter nicht wieder straffällig wird, hängt von dem Gewicht der bedrohten Rechtsgüter und den Eigenheiten der Persönlichkeit des Verurteilten ab (vgl. Senat, Beschlüsse vom 15. März 2006 - 5 Ws 104/06 -, 11. November 2005 - 5 Ws 510/05 - und 4. November 2005 - 5 Ws 523/05 -; std. Rspr.). An die Wahrscheinlichkeit künftigen Wohlverhaltens ist insbesondere dann ein kritischerer Maßstab anzulegen, wenn der Verurteilte bewährungsbrüchig geworden ist und dadurch bewiesen hat, daß der von ihm vermittelte günstige Eindruck falsch war (vgl. KG, Beschlüsse vom 11. Januar 2006 - 5 Ws 12-13/06 -, 21. Dezember 2005 - 5 Ws 613-614/05 -, 21. Januar 2004 - 5 Ws 11/04 - und 8. Januar 2002 - 5 Ws 809/01 -).
Der Beschwerdeführer hatte sich in den Jahren 1995 und 1996 dreimal wegen Eigentumsdelikten (Tatzeit jeweils 1995) in Jugendstrafverfahren zu verantworten; die Verfahren wurden jeweils eingestellt. Am 10. Mai 1999 verwarnte ihn das Amtsgericht Strausberg wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Tatzeit: 22. Februar 1998; die Tat wurde unter Alkoholeinfluß begangen) und verhängte gegen ihn eine Geldauflage. Wenige Monate später wurde der Beschwerdeführer erneut zweimal straffällig. Am 15. Oktober 1999 beging er eine Körperverletzung, deretwegen ihn das Amtsgericht Strausberg am 6. März 2000 zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 30,-- DM verurteilte. Ferner verhängte das Landgericht Frankfurt (Oder) gegen ihn wegen einer am 24. Juli 1999 begangenen gefährlichen Körperverletzung durch Urteil vom 3. Mai 2001, rechtskräftig seit dem 11. Mai 2001, eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und...