Leitsatz (amtlich)

Zur Strafbarkeit der Tätowierung eines der Odalrune ähnlichen Runenzeichens, das Teil eines Runenschriftzuges ist, der eine optische Verbindung zu der Tätowierung eines Wikinger-Kopfes aufweist.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 22.12.2015; Aktenzeichen (567) 231 Js 1620/15 Ns (195/15))

 

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. Dezember 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

3. Der Antrag des Rechtsanwalts D- H- auf Beiordnung als Pflichtverteidiger für das Revisionsverfahren wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten am 22. Oktober 2016 wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die gegen dieses Urteil erhobene unbeschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil verworfen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat vorläufigen Erfolg.

1. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte, der - auch einschlägig - bereits bestraft ist, eine Glatze trägt, die mit einer Vielzahl von Tätowierungen versehen ist. Am Hals des Angeklagten befinden sich ebenfalls Tätowierungen, nämlich solche, die "Schriftzeichen der Wikinger" zeigen. Zu den Vorstrafen des Angeklagten hat die Berufungskammer festgestellt, dass eine Verurteilung vom 3. Juli 2007 u.a. eine sog. Odalrune betraf, die als "Teil eines Runenschriftzuges (...) auf die Hinterseite seines Kopfes" tätowiert war.

Zur hier abgeurteilten Tat hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte habe am 4. Mai 2015 in Berlin-Marzahn bei einem Aufzug mit dem Motto "Nein zum Asylcontainerdorf" im Nackenbereich eine für Dritte sichtbare [Tätowierung einer] Odalrune getragen; diese sei geringfügig modifiziert, aber als solche klar zu erkennen gewesen. Dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass die Odalrune bis 1945 als Symbol der Hitlerjugend verwendet worden und auch Zeichen der verbotenen Wiking-Jugend gewesen sei. Aufgrund des gesamten Erscheinungsbildes des Zeichens sei - vom Angeklagten beabsichtigt - der Eindruck der Odalrune "und zugleich dessen Symbolgehalt als Kennzeichen der vorgenannten verfassungswidrigen Organisationen" vermittelt worden. Wegen des näheren Aussehens des Angeklagten hat die Kammer auf bei den Akten befindliche Lichtbilder, die am 4. Mai 2015 vom Angeklagten angefertigt wurden, verwiesen.

Die Einlassung des Angeklagten hat das Landgericht verworfen. Der Angeklagte hatte sich darauf berufen, er würde eine Odalrune schon deshalb nicht tragen, weil er doch wisse, dass diese als Symbol der Wiking-Jugend verboten sei; daher seien die oberen Seiten des Schriftzeichens über die obere Ecke hinausgehend verlängert gewesen, wodurch das fragliche Zeichen nicht mehr als Odalrune, sondern als Rune "uz" (bzw. "Inguz") des Runenalphabets anzusehen sei. Die Kammer hat diese Erklärung als nicht glaubhafte Schutzbehauptung angesehen, weil es bei dem vom Angeklagten getragenen Zeichen an der für den Buchstaben "uz" charakteristischen Symmetrie (auch) im oberen Bereich des Zeichens fehle, da die oberen Seiten lediglich um einen Millimeter verlängert worden seien.

In rechtlicher Hinsicht hat das Landgericht seine Ansicht dargelegt, die Tatsache, dass die Odalrune auch andere Bedeutungen habe und in anderen Zusammenhängen verwendet werde, schließe die Strafbarkeit grundsätzlich nicht aus; die Strafbarkeit setze insbesondere keinen Hinweis auf die Organisation voraus. Zudem ergebe sich aus den Gesamtumständen - Verwendung des Zeichens im Rahmen eines Protestaufzugs gegen die Unterbringung von Asylbewerbern, einschlägige Vorstrafen des Angeklagten und dessen Angabe, ein "deutscher Nationalist" zu sein - gerade nicht, dass die hier in Rede stehende Handlung dem Schutzzweck der Norm eindeutig [gemeint hat das Landgericht ersichtlich: nicht] zuwiderlaufe. Ferner bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Zeichen vom Angeklagten als Zeichen oder Symbol einer legalen Vereinigung benutzt worden sei. Schließlich unterfalle die Tätowierung auch nicht dem Bereich der Kunst. Die Tatsache, dass die oberen Seiten des tätowierten Zeichens jeweils um lediglich einen Millimeter verlängert worden seien, mache deutlich, dass es dem Angeklagten darum gegangen sei, ein mit der Odalrune zum Verwechseln ähnliches Zeichen zu schaffen, welches bei dem jeweiligen objektiven und unvoreingenommenen Betrachter den Eindruck erwecken solle, dass es sich tatsächlich um die Odalrune handele.

2. Diese Feststellungen und Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass die in Rede stehende Tätowierung des Angeklagten ein verbotenes Kennzeichen in seinem auf eine verbotene Ver...

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