Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 23.07.2003; Aktenzeichen (504) 18 Ju Js 2472/98 KLs (28/01)) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten werden der Haft-fortdauerbeschluss des Landgerichts Berlin vom 25. Juli 2003 und der Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 23. Juli 2003 (504-28/01) aufgehoben.
Entlassungsanordnung für den Angeklagten wird erteilt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe
Nach Rücknahme einer früheren Anklage legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten mit der am 19. Juli 2001 erhobenen Anklage zur Last, sich in nicht rechtsverjährter Zeit bis 30. April 1998 in Berlin und andernorts wegen gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall in zehn Fällen sowie wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und Betruges strafbar gemacht zu haben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anklageschrift vom 21: Juni 2001 Bezug genommen. Der Angeklagte ist in dieser Sache erstmals am 10. Mai 1998 in Polen auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 3. März 1998 -349 Gs 877/98 - festgenommen und am 7. Oktober 1998 nach Deutschland ausgeliefert worden. Am 15. Dezember 1998 wurde er von dem weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont. An die Stelle des bereits einmal ersetzten ursprünglichen Haftbefehls trat derjenige des Landgerichts Berlin vom 11. Dezember 2000, auf Grund dessen der Angeklagte am 22. Februar 2001 wieder verhaftet, jedoch am selben Tage gegen eine zweimalige Meldeauflage und Zahlung einer Kaution in Höhe von 10.000.- DM von dem weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont worden ist. In der Hauptverhandlung am 17. Juli 2003 ist der Angeklagte dann erneut in Untersuchungshaft genommen worden, nachdem an diesem Tage das Landgericht den Haftverschonungsbeschluss vom 22. Februar 2001 aufgehoben und den Haftbefehl vom 11. Dezember 2000 wieder in Vollzug gesetzt hatte. Letzteren ersetzte es am 23. Juli 2003 (504-28/01) durch einen der Anklage angepassten, nunmehr auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gestützten Haftbefehl. Im Hauptverhandlungstermin vom 25. Juli 2003 ist die Hauptverhandlung im Hinblick auf das Erfordernis, weitere Zeugen zu hören, die Ergebnisse umfangreicher Telefonüberwachungsmaßnahmen einzuführen und Nachermittlungen zu den Einkommensverhältnissen des Angeklagten durchzuführen, ausgesetzt und Haftfortdauer angeordnet worden. Das gegen den Haftbefehl gerichtete/ nach §§ 3 00, 3 04 Abs. 1 StPO als zulässige Beschwerde gegen die zuletzt ergangene Haftentscheidung anzusehende Rechtsmittel des Angeklagten hat Erfolg.
Zwar geht auch der Senat davon aus, dass der Angeklagte der ihm vorgeworfenen Straftaten dringend verdächtig ist, doch ist bereits zweifelhaft, ob der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr besteht. Denn - abgesehen von dem Telefonat mit dem Zeugen ...- ist nicht ersichtlich, welche Tatsachen aus dem Verhalten des Angeklagten die Annahme dieses Haftgrundes rechtfertigen sollen. Letztendlich kann dies aber dahinstehen, denn der Haftbefehl unterfällt schon deshalb der Aufhebung, weil das Verfahren das sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK ergebende Beschleunigungsgebot [vgl. BVerfG StV 1992, 121, 122; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl., § 121 Rdn. 1 m.w.N.] in einem Maße verletzt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt ist.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts, dass eine Strafsache auch dann wie eine Haftsache zu behandeln ist, wenn der Haftbefehl nicht vollzogen wird, weil er außer Vollzug gesetzt ist [vgl. KG, Beschluss vom 13. März 2000 - 5 Ws 178/00 -; KG, StV 1991, 473 und auch OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 29]. Ob dabei wegen der durch Auflagen und Weisungen nach § 116 StPO geringeren Beschränkungen, denen ein Angeklagter ausgesetzt ist, weniger strenge Anforderungen an die Beachtung des Beschleunigungsgebotes zu stellen sind, kann hier offen bleiben, da vorliegend in jedem Fall von der Unverhält-nismäßigkeit des Haftbefehls auszugehen ist.
Die Staatsanwaltschaft hatte in dieser Sache zunächst im Februar 2 0 00 Anklage erhoben und der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt bereits 7 Monate Auslieferungshaft in Polen und zwei Monate Untersuchungshaft verbüßt. Im Juni 2001 hat sie diese Anklage zurückgenommen und durch die jetzt maßgebliche ersetzt.
Obwohl der Angeklagte seit dem 22. Februar 2001 einer zweimaligen wöchentlichen Meldeauflage nachzukommen hatte, entschied die Strafkammer erst am 17. Dezember 2001, mithin etwa fünf Monate nach Anklageerhebung über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens. Welche Umstände diese erhebliche Verzögerung veranlasst haben, ist den Akten nicht zu entnehmen. Ebenso wenig erschließt sich die Verfügung der Vorsitzenden, die Akte im Anschluss an die Eröffnung zunächst weitere zwei Monate zu verfristen. Erst Anfang April 2002, die Anklage lag der Kammer seit nunmehr fast neun Monaten vor, wurde der Versuch unternommen, mit dem Verteidiger des Angeklagten mögliche Hauptverhandlungste...