Leitsatz (amtlich)

Analog § 210 Abs.2 StPO ist eine sofortige Beschwerde (Untätigkeitsbeschwerde) der Staatsanwaltschaft bei Nichtbescheidung des mit Anklageerhebung gestellten Antrags auf Eröffnung des Hauptverfahrens ausnahmsweise zulässig, wenn die über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren erfolgte Zurückstellung der Entschließung über die Eröffnung unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist und als willkürlich erscheint.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen (533) 61 Js 1801/04 (4/06))

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin wird festgestellt, dass die 33. große Strafkammer des Landgerichts Berlin gehalten ist, unverzüglich in die sachliche Prüfung einzutreten, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist.

 

Gründe

Dem Angeschuldigten T. wird in der am 10. Februar 2006 erhobenen Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 24. Januar 2006 vorgeworfen, sich teils allein, teils gemeinschaftlich mit den übrigen Angeschuldigten handelnd in 43 Fällen des Betruges, davon in zwei Fällen des Versuchs, sowie in einem weiteren Fall (Fall 39) der gewerbsmäßigen Urkundenfälschung schuldig gemacht zu haben. In zwei der Betrugsfälle ist der Angeschuldigte C. angeklagt (Fälle 8 und 22), im Fall 21 der Angeschuldigte B., in den Fällen 37, 38, 43 und 44 der Angeschuldigte A. und im Fall 25 - versuchter Betrug - auch der Angeschuldigte A. C.. Über den in der Anklageschrift gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft, das Hauptverfahren zu eröffnen und die Anklage zur Hauptverhandlung vor dem Landgericht Berlin - große Strafkammer - zuzulassen, hat das Landgericht bisher nicht entschieden. Die dagegen gerichtete Untätigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und begründet.

Zwar steht der Staatsanwaltschaft gemäß § 210 Abs. 2 StPO die sofortige Beschwerde nur für den Fall zu, dass das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen hat. Das bloß zeitlich begrenzte Zuwarten mit der Entschließung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist grundsätzlich nicht einer ablehnenden Entscheidung gleichzustellen, denn der entscheidende Grund für deren Anfechtungsmöglichkeit liegt gerade in ihrer verfahrensabschließenden Wirkung. Daran fehlt es, wenn es lediglich um den zeitlichen Aufschub der Entscheidung geht. Anderes gilt nach der Rechtsprechung aber, wenn das Hinausschieben der Entscheidung zwangsläufig einen endgültigen Verfahrensabschluss nach sich zieht, wie etwa bei dem drohenden Eintritt der Verjährung als einem endgültigen Verfahrenshindernis. Denn in einem solchen Fall erscheint die Gleichsetzung von zeitlicher Zurückstellung und ablehnender Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Folge der Anfechtbarkeit geboten, weil der materielle Inhalt und die Wirkung der Unterlassung dann darin bestehen, dass das Hauptverfahren nicht mehr eröffnet werden kann (vgl. OLG Dresden NJW 2005, 2791 unter Hinweis auf BGH NJW 1993, 1279; OLG Frankfurt NJW 2002, 453; NStZ 2002, 220; VerfGH Berlin, Beschluss vom 18. Juli 2006 - VerfGH 43/03 - [[...]]; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 284). Darum handelt es sich vorliegend nicht. Insbesondere droht keine Verjährung. Tatzeit ist August 2001 bis September 2004 und die Verjährung ist wirksam unterbrochen worden. Der Bundesgerichtshof hat jedoch in seiner bereits erwähnten Entscheidung ausgeführt, für den von ihm entschiedenen Fall könne dahinstehen, ob die Untätigkeitsbeschwerde auch zulässig sei, wenn die vorübergehende Zurückstellung der Entschließung über die Eröffnung des Hauptverfahrens unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist und als willkürlich erscheint, weil ein derartiger Fall nicht vorliege. In dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. November 2004 (NStZ-RR 2005, 92) heißt es, das Oberlandesgericht habe, indem es auf die grundlose Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer, eine Überprüfungsentscheidung der Sicherungsverwahrung zum Ablauf der Frist des § 67 e Abs. 2 StGB zu treffen, mit einem Verweis auf die Unzulässigkeit einer reinen Untätigkeitsbeschwerde reagiert habe, die Grundrechtsverletzung des Beschwerdeführers vertieft. Es hätte erwägen müssen, dass ein der endgültigen Ablehnung der Entscheidung gleichstehendes Gewicht auch der grundlosen Missachtung einer zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG vorgesehenen Frist zukommen kann. An diese Entscheidung anknüpfend hat das OLG Jena (NJW 2006, 3794) Grundrechtsverletzungen als Ausnahmefall für die Zulässigkeit der Untätigkeitsbeschwerde angesehen. So verhält es sich auch bei dem hier vorliegenden Verstoß gegen das in Art. 3 GG verankerte Willkürverbot.

Willkür liegt vor, wenn die Entscheidung schlechthin unhaltbar und unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht, wenn die Rechtslage in krasse...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge