Leitsatz (amtlich)
1. Maßgeblich für die Anwendung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG ist die Anordnung der Anhörung. Wird die Anhörung unter einer fehlerhaften Anschrift angeordnet (hier: falsche Hausnummer) und geht der Anhörungsbogen deshalb nicht zu, so hindert dies die Verjährungsunterbrechung nicht.
2. Erhält der Verteidiger entgegen seinem Antrag nach Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls keine Akteneinsicht, so kann hierauf die Rechtsbeschwerde nicht gestützt werden, weil das Urteil nicht darauf beruhen kann.
3. Zu den Erfordernissen der Darstellung, dass eine auf einem Messfoto abgebildete Person mit dem Betroffenen identisch ist
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 02.03.2020; Aktenzeichen 306 OWi 1153/19) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 2. März 2020 wird gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m.
§ 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Der Polizeipräsident in Berlin hat mit Bußgeldbescheid vom 24. Juli 2019 gegen den Betroffenen wegen fahrlässig begangener Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h eine Geldbuße in Höhe von 200,00 € sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen. Auf seinen hiergegen gerichteten Einspruch hat ihn das Amtsgericht Tiergarten am 2. März 2020 wegen einer vorsätzlichen Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 400,00 € unter Gewährung einer Zahlungserleichterung verurteilt, ihm für die Dauer von einen Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen und eine Anordnung nach § 25a Abs. 2a StVG getroffen.
Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 16. Juni 2020 beantragt, die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die von Amts wegen veranlasste Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass die festgestellte Ordnungswidrigkeit - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - nicht verjährt ist.
Gemäß § 26 Abs. 3 StVG beträgt die Frist der Verfolgungsverjährung für Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG - wie hier - bis zum Erlass des Bußgeldbescheides drei Monate, danach sechs Monate.
a) Die zunächst dreimonatige Verjährungsfrist der am 28. Januar 2019 begangenen Ordnungswidrigkeit ist am 17. April 2019 durch die automatisiert veranlasste Übersendung eines Anhörungsbogens an den Betroffenen unterbrochen und zugleich erneut in Gang gesetzt worden, § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG. Dass die Anhörung unter einer fehlerhaften Anschrift - nämlich unter der Angabe einer falschen Hausnummer - angeordnet worden und der Anhörungsbogen deshalb dem Betroffenen nicht zugegangen ist, hindert die Verjährungsunterbrechung nicht. Denn maßgeblich für die Anwendung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG ist die Anordnung der Anhörung (vgl. BGHSt 25, 6; Senat, Beschlüsse vom 21. August 2018 - 3 Ws (B) 185/18 -, juris und 28. Juni 2017 - 3 Ws (B) 148/17 -; OLG Hamm VRS 112, 46; BayObLG VRS 105, 301; OLG Frankfurt NJW 1998, 1328; OLG Stuttgart VRS 94, 456; Gürtler in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 33 Rdn. 6a, 10; Ellbogen in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 33 Rdn. 23). Der Gesetzgeber hat damit den Unterbrechungstatbestand allein an ein Internum der Bußgeldbehörde geknüpft (OLG Hamm a.a.O.). Ist der Anhörungsbogen an eine unzutreffende Adresse gerichtet, führt dies nur dann nicht zu einer Unterbrechung der Verjährung, wenn der anordnende Beamte wusste, dass der Betroffene den Anhörungsbogen nicht erhalten werde (OLG Hamm a.a.O.). Für eine solchen Sachverhalt liegen indes keine Anhaltspunkte vor.
Der Einwand der Rechtsbeschwerde, der Betroffene sei infolge der falschen Melde- und Wohnanschrift nicht ausreichend individualisiert, trifft nicht zu. Denn die Identität des Betroffenen kann aus den weiteren Umständen - Vor- und Zuname, Wohnort, Straße, Geburtsdatum - zweifelsfrei abgeleitet werden (vgl. BGHSt 42, 283; OLG Hamm VRS 74, 121; BayObLG NZV 2003, 588) und stellt die verjährungsunterbrechende Wirkung der angeordneten Anhörung auch insoweit nicht Frage.
b) In der Folge ist mit der am 6. Mai 2019 durch die Verfolgungsbehörde angeordneten vorläufigen Verfahrenseinstellung wegen Abwesenheit des Betroffenen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG eine weitere Verjährungsunterbrechung eingetreten. Zwar ist der Betroffene tatsächlich nicht abwesend gewesen. Vielmehr nahm die Verfolgungsbehörde dies fälschlicherweise an, denn das Polizeirevier Ludwigsfelde hatte die unzutreffende Auskunft erteilt, dass die Nummer des von dem Betroffenen bewohnten Hauses 7 (statt 9) lautet...