Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags im Berufungsverfahren. Säumnis in der Hauptverhandlung wegen behaupteter Erkrankung
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
1. Ein ärztliches Attest, das Art und Schwere der Erkrankung mitteilt, rechtfertigt in der Regel den Schluss, dass dem Angeklagten die Teilnahme in der Hauptverhandlung nicht zumutbar war.
2. Etwas anderes kann jedoch bei Erkrankungen gelten, deren Symptome typischerweise zeitlich eng begrenzt, häufig auch akut "von der einen auf die andere Minute" auftreten. In so gelagerten Fällen bedarf es in der Regel des zusätzlichen Vortrags, zu welcher Uhrzeit der Angeklagte den behandelnden Arzt aufgesucht hat.
Normenkette
StPO § 46 Abs. 3, § 329 Abs. 7
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 11.09.2019; Aktenzeichen (566) 231 Js 2595/16 Ns (127/17)) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 11. September 2019 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seiner sofortigen Beschwerde zu tragen.
Gründe
I.
Nachdem der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung zu der durch das Land-gericht Berlin auf den 24. Juli 2019, 10:30 Uhr, anberaumten Berufungshauptverhandlung nicht erschienen war, hat es mit Urteil vom selben Tag die Berufungen des Angeklagten gegen die Urteile des Amtsgerichts Tiergarten vom 12. September 2017 und 4. September 2018 verworfen. Gegen das in Gegenwart des Verteidigers verkündete Urteil hat dieser mit Schriftsatz vom 6. August 2019, der am selben Tag bei Gericht einging, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Säumnis des Angeklagten im Berufungshauptverhandlungstermin beantragt und dazu mit Schriftsatz vom 7. August 2019 vorgetragen, der Angeklagte habe den o.g. Termin nicht wahrnehmen können, weil er auf Grund einer Magen-Darm-Grippe reise- und verhandlungsunfähig gewesen sei. Er hat seinem Antrag die Kopie einer unter dem 24. Juli 2019 erstellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sowie einer Folgebescheinigung vom 30. Juli 2019, jeweils ausgestellt durch die Ärztin Z., B.Allee, B., beigefügt. In der Erstbescheinigung ist dem Angeklagten wegen eines Magen-Darm-Infekts Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 24. bis voraussichtlich 30. Juli 2019 und in der Folgebescheinigung vom 24. Juli bis voraussichtlich 16. August 2019 - zusätzlich auch wegen einer Atemwegserkrankung - bescheinigt worden.
Mit Beschluss vom 11. September 2019, der dem Verteidiger am 8. Oktober 2019 zugestellt worden ist, hat das Landgericht den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Angeklagte habe nicht in ausreichendem Maße die zur Entscheidung erforderlichen Tatsachen mitgeteilt; die Übersendung einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung belege keine Verhandlungsunfähigkeit. Die mitgeteilten Diagnosen ließen nicht erkennen, ob die Symptome der Erkrankung ein Ausmaß erreicht hatten, dass der Angeklagte verhandlungsunfähig war. Nichts anderes ergebe sich aus dem Zusatz "Magen-Darmkrankheit, Diarrhoe".
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seiner durch den Verteidiger unter dem 8. Oktober 2019 eingelegten (sofortigen) Beschwerde. Er trägt vor, die gerichtliche Aufklärungspflicht hätte es geboten, bei der behandelnden Ärztin des Angeklagten um eine Stellungnahme nachzufragen. Zudem hätte es vor einer Zurückweisung mangels Glaubhaftmachung einer entsprechenden Mitteilung an den Angeklagten bedurft. Mit am selben Tag bei Gericht eingegangenem, Schriftsatz vom 15. Oktober 2019 hat er ein ärztliches Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin, Dr. F., S.-Straße 11, B., vorgelegt, in dem es wie folgt heißt:
"B., den 24.07.2019
Ärztliches Attest zur Vorlage bei Gericht
Wegen eines Magen-Darm-Infektes mit Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe und Kreislaufstörungen ist der Patient bettlägerig und nicht verhandlungsfähig."
II.
Die zulässige, insbesondere gemäß §§ 329 Abs. 7, 46 Abs. 3 StPO statthafte und innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Verwerfungsbeschluss des Landgerichts vom 11. September 2019 ist unbegründet. Das Landgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen des Fernbleibens des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung vom 24. Juli 2019 zu Recht als unzulässig verworfen. Die Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages nach §§ 329 Abs. 7, 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StPO erfordert, dass der Angeklagte umfassend einen Sachverhalt vorträgt und glaubhaft macht, der ein Verschulden an seiner Säumnis ausschließen soll (vgl. Senat, Beschluss vom 20. November 2018 - 3 Ws (B) 281/18 -; KG, Beschluss vom 28. August 2014 - 4 Ws 70/14 - juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 45 Rdn. 5 f.; jeweils m.w.N.). Zwar dürfen die Anforderungen an ein Wiedereinsetzungsvorbringen nicht überspannt werden (vgl. BerlVerfGH, Beschluss vom 7. Juni 2011 - 78/08, 108/08 - juris Rdn. 15). Jedoch ist erforderlich, dass der Angeklagte dem Gericht d...