Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Ist das Ergebnis eines Augenscheins eine wesentliche Grundlage der Entscheidung, müssen die Urteilsgründe in nachprüfbarer Weise darlegen, auf welche festgestellten Einzelheiten und welchen daran anknüpfenden Erwägungen sich die Beweiswürdigung des Gerichts stützt.

  • 2.

    Nimmt das Gericht eigene Sachkunde in Anspruch, müssen die Urteilsgründe Ausführungen enthalten, aus denen entnommen werden kann, dass sich der Tatrichter zu Recht die erforderliche Sachkunde zugetraut hat.

  • 3.

    Die Schriftvergleichung erfordert in der Regel die Zuziehung eines Sachverständigen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 23.06.2008; Aktenzeichen (574) 63/3014 PLs 5568/07 Ns (10/08))

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. Juni 2008 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

  • 2.

    Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionen - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat die Angeklagte wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 10,00 EUR verurteilt. Das Landgericht Berlin hat ihre hiergegen eingelegte Berufung verworfen. Die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung sachlichen und formellen Rechts rügt, hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.

Nach den Urteilsfeststellungen soll gegen die Angeklagte durch die zuständige Richterin Dr. des Amtsgerichts Tiergarten am 12. Februar 2007 ein Strafbefehl wegen Bedrohung erlassen worden sein. Nachdem die Angeklagte hiergegen Einspruch eingelegt haben soll, soll sie am 3. März 2007 die Richterin persönlich angeschrieben haben. Dabei habe sie auf vier handschriftlich abgefassten Seiten ihre Wut und Verärgerung über die Justiz im Allgemeinen und die Richterin im Besonderen zum Ausdruck gebracht. Unter anderem soll der Brief die folgenden Äußerungen enthalten haben, mit denen die Angeklagte die Ehre der Richterin Dr. Jahnke bewusst habe herabwürdigen wollen:

"Sehr geehrte Frau Dr. Sau - Richterin (-)!",

"... Sie und Ihre Kollegen lassen sich obschon Juristen auf das Niveau frauenprügelnder Polizisten herab."

"Ich wünsche Ihnen alleinstehende berliner Frau Richterin das Opfer eines Albert Henry de Salvo zu werden."

Bei de Salvo soll es sich um einen 1972 verstorbenen mutmaßlichen Serienkiller gehandelt haben, dem in der Zeit von 1962 bis 1964 Morde an 13 Frauen in den Vereinigten Staaten von Amerika zur Last gelegt worden sind.

Zur Begründung ihrer Überzeugung, dass die Angeklagte, die in der Berufungshauptverhandlung sich zur Sache nicht eingelassen hat, die Verfasserin des Briefs vom 3. März 2007 gewesen ist, hat die Kammer Folgendes ausgeführt: Zum einen habe ein gründlicher Vergleich des Originalschriftstücks mit den zahlreichen ganz unzweifelhaft von der Angeklagten verfassten Eingaben in dem hiesigen Verfahren die Urheberschaft der Angeklagten ergeben. Diese Schreiben seien in der äußeren Struktur, der räumlichen Aufteilung, des Schriftbildes sowohl in Größe als auch Form der einzelnen Buchstaben in einem Grade identisch, dass es dafür keines grafologischen Gutachtens bedürfe, sondern die Identität der Autorenschaft jedermann ins Auge springe. Beispielhaft sei auf die groß geschriebenen Buchstaben "B", "R" und "S" hingewiesen. Zum anderen, so führt die Kammer aus, habe die Angeklagte in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung - insoweit sei ihre geständige Einlassung verlesen worden - selbst eingestanden, den in Rede stehenden Brief vom 3. März 2007 verfasst zu haben. Soweit sie dort bestritten habe, das Wort "Sau" gebraucht zu haben, sei sie wiederum durch einen Abgleich des Schriftbildes widerlegt. Im Übrigen frage es sich, welche andere Person im Namen der Angeklagten verfahrensbezogene Korrespondenz mit dem Amtsgericht geführt haben soll und/oder nachträgliche Einfügungen in ihrem Schreiben vorgenommen haben könnte.

Diese Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft. Zwar ist die Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat jedoch auf die Sachrüge zu prüfen, ob dem Tatrichter hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung dann, wenn sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (Senat, Beschluss vom 8. September 2008 - (4) 1 Ss 271/08 (177/08) -; Meyer-Goßner, StPO 51. A., § 337 Rdnr. 27 m.w.N.). So verhält es sich hier. Denn die Beweiswürdigung wird den besonderen Anforderungen, die an die Feststellung der Urheberschaft von Schriftstücken zu stellen sind, nicht gerecht und erweist sich auch im Übrigen als lückenhaft.

1.

Soweit die Kammer hinsichtlich ihrer Überzeugungsbildung auf einen Vergleich des Schreibens vom 3. März 2007 mit anderen, "unzweifelhaft" von der Angeklagten stammenden Eingaben abgestellt hat, hat sie diese Schriftstücke ersichtlich in Augenschein genommen und aufgrun...

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