Leitsatz (amtlich)

1. Gegenstand der vorbehaltenen Entscheidung nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 JGG ist zunächst das vom Verurteilten gezeigte Verhalten in Bezug auf die im Urteilszeitpunkt konkret festgestellten positiven Ansätze in seiner Lebensführung. Da die Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung durch das Tatgericht nur nach den engen Maßgaben des § 61 Abs. 1 oder 2 JGG ausnahmsweise über den Urteilszeitpunkt hinaus aufgeschoben werden darf, bilden diese Maßgaben den zentralen Anknüpfungspunkt für die nachträgliche Bewährungsentscheidung. Allein die festgestellten konkreten positiven Ansätze rechtfertigen den Aufschub; sie bestimmen demgemäß den tatsächlichen Entscheidungsrahmen und sind für die gerichtliche Entscheidung nach Ablauf der Aufschubzeit von maßgebender Bedeutung.

2. Die von § 61 JGG tatbestandlich geforderten Ansätze sind deshalb in den Urteilsgründen - in sachlich-rechtlich nachprüfbarer Weise - darzustellen. Enthalten die schriftlichen Urteilsgründe keine solche konkrete Darlegung, fehlt es an der für eine Entscheidung nach § 61a Abs. 1 JGG notwendigen Entscheidungsgrundlage, weil dann offen bleibt, welche Ansätze im Urteilszeitpunkt das Hinausschieben der Bewährungsentscheidung gerechtfertigt haben, und bei welchem konkret zu erwartenden Verhalten des Verurteilten in der Aufschubzeit die eigentlich gestellte negative Legalprognose in Frage gestellt wäre.

3. Allein die Erfüllung von Auflagen und Weisungen kann nicht - gleichsam automatisch - zur Strafaussetzung zur Bewährung führen. Auflagen und Weisungen können und sollen die in den Urteilsgründen bezeichnete, für eine erneute Gesamtabwägung maßgebliche positive Entwicklung des Verurteilten nur begleiten, nicht aber selbst zur Entscheidungsgrundlage werden.

 

Normenkette

JGG § 61 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 61a

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 16.09.2015; Aktenzeichen (509) 265 Js 468/14 (35/14) BwH 1)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 16. September 2015 aufgehoben.

2. Die Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Dezember 2014 zur Bewährung wird abgelehnt.

3. Von der Auferlegung der Kosten des Beschwerdeverfahrens wird abgesehen (§§ 74, 109 Abs. 2 JGG).

 

Gründe

I.

1. Die Jugendkammer hat gegen den Verurteilten auf dessen Berufung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Urteil vom 4. Dezember 2014 eine Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten verhängt. Während das Amtsgericht Tiergarten am 14. August 2014 erstinstanzlich eine unbedingte Jugendstrafe in gleicher Höhe ausgesprochen hatte, hat das Landgericht die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung für die Dauer von sechs Monaten zurückgestellt und sie (angesichts der Bezugnahme in den Urteilsgründen auf § 61 Abs. 1 Nr. 2 JGG der Sache nach) einem nachträglichen Beschluss im Sinne des § 61a JGG vorbehalten.

Von der Einbeziehung früherer Urteile, von denen das letzte auf eine Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten gelautet hatte, hat die Kammer gemäß § 31 Abs. 3 JGG unter Hinweis darauf abgesehen, dass die früher abgeurteilten Taten schon vier bis sechs Jahre zurücklägen, der Verurteilte jene Strafe bis auf einen Rest von 81 Tagen fast vollständig verbüßt habe und im Fall der Vollstreckung dessen Chance auf eine Ausbildung mit dem "damit zu erwartenden einhergehenden positiven Einfluss auf seine Entwicklung" ungewiss wäre.

Den auf die Strafaussetzung zur Bewährung bezogenen Entscheidungsvorbehalt hat das Landgericht damit begründet, dass der Angeklagte, dem noch keine positive Prognose gestellt werden könne, die Chance erhalten solle, seinen in der jüngeren Vergangenheit begonnenen positiven Lebensweg fortzusetzen. Er habe schon in der Haft eine Wende zum Positiven genommen, indem er sämtliche Möglichkeiten zur Erlangung von Zertifikaten und auch andere Angebote der Justizvollzugsanstalt, wie z.B. Spieleabende, wahrgenommen habe. Die positive Entwicklung habe sich nach der (im Zuge der Reststrafaussetzung am 16. Mai 2013 erfolgten) Haftentlassung mit dem Erwerb einer Fahrerlaubnis fortgesetzt. Insbesondere sei zu beachten, dass der Angeklagte, der vor Verbüßung der Jugendstrafe nie gearbeitet habe, seit seiner Haftentlassung durchgehend - mit Unterbrechung durch Untersuchungshaft vom 1. Mai bis 14. August 2014 - in der Gastronomie gearbeitet habe (UA S. 6). Hierzu und zu den im Rahmen der Entscheidung nach § 31 Abs. 3 JGG angesprochenen beruflichen Perspektiven hat das Landgericht festgestellt, dass der Verurteilte seit dem 20. August 2014 mit Freude ein Praktikum in einem italienischen Restaurant ableiste und hierbei pünktlich und engagiert sei; sofern er weiterhin gute Arbeit leiste, sei ihm von dem Restaurantbetreiber ein Ausbildungsplatz als Gastronomiefacharbeiter in Aussicht gestellt worden (UA S. 3).

Die Berufung der Staatsanwaltschaft, die beantragt hatte, unter Einbeziehung...

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