Leitsatz (amtlich)
Ergeben sich aus der deutlich ambivalenten Entwicklung des Verurteilten in der Vorbewährungszeit besondere Gründe kann die Höchstfrist der Vorbewährungszeit verlängert werden.
Eine das Hauptverfahren betreffende Verteidigerbestellung wirkt im Verfahren über die Aussetzung der Jugendstrafe gemäß § 57 JGG fort.
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Entscheidung vom 26.06.2015) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Höchstfrist zur vorbehaltenen Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung wird auf neun Monate verlängert.
Die weitergehende sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen, jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt. Je eine Hälfte der gerichtlichen Auslagen im Beschwerdeverfahren und der dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
- Der Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers ist gegenstandslos. (Alleinentscheidung des Vorsitzenden)
Gründe
Das Landgericht Bielefeld hat den Beschwerdeführer am 23. Januar 2015 wegen Betruges in 15 Fällen und Computerbetruges in 21 Fällen zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung einem nachträglichen Beschluss vorbehalten. Das Urteil ist seit dem 31. Januar 2015 rechtskräftig. Zur Begründung der vorbehaltenen Entscheidung hat das Landgericht ausgeführt, dass sich der Verurteilte kurz vor und zwischen den Hauptverhandlungsterminen um eine Veränderung seiner Wohnsituation sowie eine Fortsetzung seiner schulischen Ausbildung bemüht und erklärt habe, nicht wieder straffällig werden zu wollen. Es bleibe abzuwarten, ob ihm die Umsetzung seiner Vorsätze, insbesondere eine Verselbständigung, gelinge. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 26. Juni 2015 die Strafaussetzung und eine Anrechnung zwischenzeitlich erbrachter Arbeitsleistungen auf die Jugendstrafe abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde, mit der er vorrangig eine Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung begehrt, und beantragt zudem die Beiordnung seines Verteidigers für das Beschwerdeverfahren. Das Rechtsmittel hat insoweit Erfolg, als es zu einer Verlängerung der Vorbewährungszeit führt.
1. Die zulässige sofortige Beschwerde ist - unter Berücksichtigung der vom Verurteilten erst im Beschwerdeverfahren vorgelegten und dem Landgericht bei seiner Entscheidung weitgehend unbekannten Unterlagen - teilweise begründet.
a) Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg, soweit es die Verletzung rechtlichen Gehörs und einen verfrühten Zeitpunkt der Beschlussfassung beanstandet.
Eine Anwesenheit des Verteidigers im Rahmen der Anhörung ist nicht zwingend vorgeschrieben. Dem - nicht inhaftierten - Verurteilten wurde die Ladung am 19. Juni 2015 zugestellt, so dass er genügend Zeit hatte, seinen Verteidiger selbst von dem Termin am 26. Juni 2015 zu informieren (vgl. zur Benachrichtigung des Verteidigers durch den Verurteilten selbst BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 1993 - 2 BA 710/91, NJW 1993, 2301, 2303). Im Übrigen hat das Landgericht die Übersendung einer Terminsnachricht an den Verteidiger über zehn Tage vor dem Anhörungstermin verfügt.
Dass die angefochtene Entscheidung bereits vor dem Ablauf von sechs Monaten nach Rechtskraft des den Vorbehalt aussprechenden Urteils erging, ist nicht zu beanstanden, da es sich bei der Frist gemäß § 61a Abs. 1 Satz 1 JGG um eine Höchstfrist handelt (vgl. BT-Drucks. 17/9389 S. 17).
b) Nach der bisherigen Entwicklung des Verurteilten in der Vorbewährungszeit besteht weiterhin die Aussicht im Sinne des § 61 Abs. 1 Nr. 2, § 109 Abs. '2 Satz 1 JGG, dass in absehbarer Zeit eine positive Prognose gemäß § 21 Abs. 1, § 105 Abs. 1 JGG begründet sein wird. Derzeit ist eine solche abschließende Prognose nach den besonderen Umständen des Einzelfalles noch nicht möglich. Vielmehr ergeben sich aus der deutlich ambivalenten Entwicklung des Verurteilten in der Vorbewährungszeit besondere Gründe, die Höchstfrist der Vorbewährungszeit mit seinem über den Verteidiger erklärten ausdrücklichen Einverständnis auf neun Monate zu verlängern (§ 61a Abs. 1 Satz 3, § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG).
Das Landgericht ist in dem rechtskräftigen Urteil davon ausgegangen, dass für eine günstige Prognose die Frage von besonderer Bedeutung sei, ob es dem Verurteilten gelinge, sich zu verselbständigen (vgl. zum zentralen Anknüpfungspunkt der nachträglichen Aussetzungsentscheidung OLG Hamburg, Beschluss vom 9. September 2014 - 1 Ws 92/14, ZJJ 2015, 71, 72). Eine solche Verselbständigung ist noch nicht festzustellen, obschon weiterhin Ansätze hierfür erkennbar sind.
So ist der Verurteilte zwar inzwischen aus der Wohnung seiner Mutter ausgezogen. Allerdings beruht der Auszug nicht auf eigenen Bemühungen um eine andere Wohnung, sondern auf einer polizeilichen Wohnungsverweisung und einem Rückkehrverbot von zehn Tagen. Zudem wird sich zu erweisen haben, ob der Umzug in...