Leitsatz (amtlich)
1. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO erlaubt auch die Verlesung von schriftlichen Erklärungen, die keine Routine-Ermittlungshandlungen betreffen; dabei ist ohne Relevanz, ob die Erklärung aus dem eigenen oder aus fremden Verfahren stammt.
2. Der Tatbestand des § 140 Nr. 2 StGB setzt u.a. voraus, dass die gebilligte Tat entweder in der Äußerung selbst so konkret beschrieben wird, dass sie ohne zusätzliches Wissen unter einen der in § 140 StGB genannten Tatbestände subsumiert werden kann oder aber durch ihre herausragende Prominenz und andauernde Bedeutung für den aktuellen politischen Diskurs praktisch jedem durchschnittlich informierten Adressaten sofort vor Augen steht.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 27.04.2017; (565) 276 Js 709/15 Ns (207/15)) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. April 2017 aufgehoben.
Der Angeklagte wird f r e i g e s p r o c h e n .
Die Landeskasse Berlin trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten am 22. September 2015 wegen Billigung von Straftaten zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je acht Euro verurteilt. Auf die gegen dieses Urteil mit dem Ziel eines Freispruchs eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin das Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen herabgesetzt. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat es dem Angeklagten mit der Maßgabe aufgebürdet, dass die Gebühr für das Berufungsverfahren um ein Drittel ermäßigt wird. Die im Berufungsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen und die insoweit dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen hat es zu einem Drittel der Landeskasse Berlin auferlegt.
Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils des Landgerichts Berlin und zur Freisprechung des Angeklagten (§§ 349, Abs. 4, 354 Abs. 1 StPO).
I.
Das Landgericht hat in der Sache im Wesentlichen die folgenden Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte ist seit 1977 in der (zunächst westdeutschen) "Antifa-Szene" politisch engagiert und hatte in den 1980er Jahren in dieser Szene auch eine führende Rolle inne, wobei er sich strategisch für eine "Bündnispolitik" einsetzte. Im Gegensatz zu den "radikal Militanten" innerhalb der "Antifa-Szene" traten die Vertreter der "Bündnispolitik" dafür ein, durch das Zugehen auf andere linke Gruppierungen zum Zwecke gemeinsamer politischer Aktion und in diesem Rahmen durch den Verzicht auf Gewaltanwendung gegen den politischen Gegner für weitere Bevölkerungskreise anschlussfähig und dadurch wirkmächtiger zu werden. Der Angeklagte ist Autor des 2014 erschienenen Buches "...". Nach Erscheinen des Buches ließ sich der Angeklagte A. gemeinsam mit B., einem Vertreter der damaligen "radikal Militanten", für die überregional erscheinende Tageszeitung "Neues Deutschland" interviewen. Das Interview dauerte mehrere Stunden: Die gekürzte Textfassung wurde durch den Angeklagten autorisiert und sodann in der gedruckten Ausgabe des "Neuen Deutschland" vom ... 2014 und in dessen Internetausgabe veröffentlicht.
Die schriftliche Fassung des Interviews hat nach den Feststellungen des Landgerichts folgenden Wortlaut:
"Wir hatten das militante Antifa-Monopol
Autonome Antifaschisten sprechen über ihre Organisierung in den 1980er Jahren der Bundesrepublik- und über die Gründe ihres Scheiterns Pkw und Busse, die Neonazis zu ihren Aufmärschen brachten, wurden zerstört, rechte Druckereien und Verlage angezündet und einschlägige Versammlungsorte mit Buttersäure unbetretbar gemacht: Militante Angriffe auf die Infrastruktur von Neonazis waren in den 1980er Jahren gang und gäbe. Hinter vielen dieser Aktionen steckten organisierte Antifaschisten. Niels Seibert lud zwei dieser Antifaschisten zum Gespräch ein. Sie werfen Streitfragen auf, die auch für heutige linksradikale Organisierungsversuche wichtig sind: die gemeinsamen politischen Strategien; die öffentliche Wirkung und Wahrnehmung, Fragen von Bündnisarbeit und Militanz sowie zum notwendigen Gleichgewicht von legalen und illegalen Aktionen.
Was war die nachhaltigste Aktion der militanten Antifaschisten?
B: Was nachhaltig ist, lässt sich schwer beziffern. Ich glaube nicht, dass man von einer Aktion, die am nachhaltigsten war, sprechen kann. Es gab bestimmte Initialzündungen wie zweifelsohne der militante Angriff auf den NPD-Bundesparteitag im niedersächsischen Fallingbostel 1983. Nachhaltig war erst die Summe der Aktionen und die Verzahnung legaler und illegaler Aktivitäten über einen relativ langen Zeitraum. Und dass sich eine Struktur entwickelt hat, die konsequent Aktionen gegen Nazis durchgeführt hat - und es bis heute weder eine Verurteilung noch Verrat gab. Das ist die Besonderheit der militanten Antifa aus den 1980er Jahren.
A: Für mich war die Organisierung das wesentliche Moment. Es gelang, gemeinsam, verlässlich tätig zu werden und dabei auch ideologische, inhaltliche D...