Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 03.12.2021; Aktenzeichen 55 O 470/20)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 3. Dezember 2021 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin II, Az. 55 O 470/20, unter Festsetzung eines Berufungsstreitwertes in Höhe von bis zu 30.000,00 Euro, auf ihre Kosten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. Februar 2024 wird aufgehoben.

3. Die Klägerin erhält Gelegenheit, hierzu binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses schriftsätzlich Stellung zu nehmen.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Fahrzeugherstellerin (Beklagte) auf Schadensersatz aus Deliktsrecht wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.

Die Klägerin, die vorsteuerabzugsberechtigt ist (Bd. I Bl. 55 d. A.), erwarb am 26. Mai 2016 vom Autohaus ... als Unternehmerin das Fahrzeug Audi A6 3.0 V6 TDI (2967ccm), 200 kw, 272 PS, Motorbezeichnung EA 897 evo, Diesel, Euro-Norm 6, Kilometerstand 0, zu einem Nettokaufpreis in Höhe von 63.268,91 Euro (Anlage K1).

Das Fahrzeug unterliegt einem Rückruf des Kraftfahrzeugbundesamtes (KBA) mit dem Rückrufcode ... (Bd. I Bl. 94 d. A. = Seite 4 des Schriftsatzes der Klägerin vom 28. Mai 2021).

Die Klägerin veräußerte das streitgegenständliche Fahrzeug am 3. Mai 2021 mit einem Kilometerstand von 69.467 km an einen Dritten zu einem Preis in Höhe von 25.312 Euro (brutto) (Bd. I Bl. 91 d. A., Anlage K1a).

Im Übrigen verweist der Senat hinsichtlich der erstinstanzlich gestellten Anträge und der tatsächlichen Feststellungen auf das angefochtene Urteil (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).

Das Landgericht hat mit am 3. Dezember 2021 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen. Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB komme nicht in Betracht, weil ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht feststellbar sei. Auch bei der Annahme, dass die von der Klägerin dargelegten Abschalteinrichtungen (Thermofenster, "Aufheizstrategie", Programmierung der AdBlue-Einspritzung) unzulässig seien, liege ein verwerfliches Verhalten der Beklagten mangels Prüfstandsbezogenheit der Abschalteinrichtungen nicht vor. Besondere Umstände, die das Verhalten der Beklagten als besonders verwerflich erscheinen ließen, seien nicht ersichtlich. Allein die Überschreitung der gesetzlichen Grenzwerte im Betrieb auf der Straße führe nicht zu der Annahme einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte. Die Testzyklen für die Emissionen des streitgegenständlichen Fahrzeuges im Rahmen des für die Prüfung der Einhaltung der Werte maßgeblichen NEFZ beruhten nicht auf den Bedingungen des realen Verkehrs. Ein Schadensersatzanspruch sowohl aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB als auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV scheide ebenfalls aus. Der Schutzzweck der Normen (§§ 6, 27 EG-FGV) umfasse nicht das von der Klägerin angeführte Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden.

Gegen diese - ihrem damaligen Prozessbevollmächtigen am 17. Dezember 2021 zugestellte (Bd. II Bl. 21 d. A.) - Entscheidung hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 13. Januar 2022 (Bd. II Bl. 45 f. d. A.) Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19. April 2022 (Bd. II Bl. 59 d. A.) mit Schriftsatz vom 14. April 2022, am 19. April 2022 beim Kammergericht eingegangen (Bd. II Bl. 63 ff. d. A.), begründet.

Das Landgericht habe zu Unrecht einen Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB verneint. Das Fahrzeug sei unstreitig mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet. Es liege ein verbindlicher Rückruf seitens des KBA vor, in dem das KBA die Abschalteinrichtung als evident unzulässig eingestuft habe. Der Rückruf des KBA beziehe sich auf das Emissionsverhalten des Fahrzeuges. Insbesondere die sog. Aufheizstrategie stelle eine evident unzulässige Abschalteinrichtung dar, die ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten belege. Die zu den Parametern gehörenden Werte, die im Rahmen der Aufheizstrategie zur Anwendung kämen, seien so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie faktisch ausschließlich im NEFZ und den dort definierten Prüfbedingungen wirke. Schon kleine Abweichungen im Fahrprofil und Umgebungsbedingungen führten zur Abschaltung der Aufheizstrategie. Es handele sich daher um eine unzulässige Abschalteinrichtung, die in ihrer Funktion und Wirkungsweise mit der "Umschaltlogik" der Motoren EA 189 vergleichbar sei. Darüber hinaus werde auch die Drosselung der AdBlue-Einspritzung bei zunehmend leerem AdBlue-Tank vom KBA ab einer Restreichweite von über 2.400 km als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet. Eine wechselnde Dosierung, insbesondere die Herabsetzung des Wirkungsgrades der AdBlue-Einspritzung in den SCR-Katalysator, lege ein sittenwidriges Verhalten nahe. Die Beklagte habe die AdBue-Dosierung in ihrer konkreten Ausgestaltung im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens nicht gegenüber dem KBA offen gelegt. Sie habe den Gesetzesverstoß bewusst in Kauf genomm...

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