Entscheidungsstichwort (Thema)

Recht auf Informationsparität bei standardisiertem Messverfahren

 

Orientierungssatz

Orientierungssatz:

1. Die Informationsrechte sind vom Betroffenen gegenüber der Verwaltungsbehörde proaktiv, idealerweise im Ermittlungsverfahren, jedenfalls aber substantiell vor der Hauptverhandlung, auf eigene Kosten auszuüben.

2. Konsequenz des Rechts auf Informationsparität ist, dass der Betroffene beim standardisierten Messverfahren Einfluss auf die gerichtliche Beweiserhebung nur nehmen kann, wenn er substantiierte, also auf Tatsachen gründende Einwände gegen die konkrete Messung vorbringt.

 

Normenkette

OWiG §§ 71, 77; StPO § 265 Abs. 4

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 16.12.2021; Aktenzeichen 315 OWi 352/21)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. Dezember 2021 wird verworfen.

 

Gründe

Erläuternd merkt der Senat an:

1. Die erbotenen Beweise mussten nicht erhoben werden. Unter dem Regime des standardisierten Messverfahrens stehen dem Betroffenen sehr weitreichende Einsichts- und Informationsrechte zu (vgl. BVerfG DAR 2021, 75; NZV 2021, 377 [Volltext bei juris]). Sie erstrecken sich über das Akteneinsichtsrecht hinaus auch auf außerhalb der Bußgeldakte befindliche, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandene Informationen (vgl. BVerfG jeweils a.a.O.). Diese Rechte sind proaktiv gegenüber der Verwaltungsbehörde, idealerweise im Ermittlungsverfahren, jedenfalls aber substantiell vor der Hauptverhandlung (vgl. Senat NZV 2021, 379), auf eigene Kosten (vgl. Senat NZV 2021, 379; Beschluss vom 16. Juli 2021 - 3 Ws (B) 177/21 - [juris]; LG Aachen NZV 2018, 480) auszuüben.

Konsequenz dieses "Rechts auf Informationsparität" (vgl. BVerfG a.a.O.) ist, dass der Betroffene Einfluss auf die gerichtliche Beweiserhebung nur nehmen kann, wenn er substantiierte, also auf Tatsachen gründende Einwände gegen die konkrete Messung vorbringt. Dies ist hier, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer dem Rechtsmittelführer bekannten Zuschrift zutreffend ausführt, nicht geschehen. Vielmehr hat der Betroffene, ohne sich zuvor bei der Behörde informiert zu haben, auf rein spekulativer Basis eine Überprüfung einzelner Segmente des Messverfahrens begehrt. Dies löst beim standardisierten Messverfahren keine Aufklärungspflicht aus.

2. § 265 Abs. 4 StPO ist nicht einschlägig. Die Generalstaatsanwaltschaft hat zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Betroffenen bereits im Ermittlungsverfahren und nochmals durch den Bußgeldbescheid eine vorsätzliche Tatbegehung vorgeworfen wurde, so dass er sich auf seine Verteidigung diesbezüglich unbeschränkt vorbereiten konnte.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15217587

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