Leitsatz (amtlich)

Rechtskräftig festgesetzte Einzel- bzw. Gesamtfreiheitsstrafen sind bis zur zu Rechtskraft der neuen Gesamtstrafenentscheidung ohne weiteres vollstreckbar

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 02.04.2004)

 

Tenor

Die sofortigen Beschwerden des Verurteilten gegen die Beschlüsse des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 2. April 2004 werden verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.

 

Gründe

Der Verurteilte verbüßt zur Zeit eine Gesamtfreiheitsstrafe von "zwölf Monaten" (richtig wäre: einem Jahr, § 39 StGB) aus dem Urteil des Schöffengerichts Tiergarten in Berlin vom 21. August 2002 (29 VRs 80 Js 786/02) wegen räuberischen Diebstahls und Diebstahls in drei Fällen. Das Urteil ist seit dem 16. Juli 2003 rechtskräftig. Die Hälfte der Strafe war am 30. März 2004 verbüßt; das Strafende ist auf den 28. Januar 2005 notiert.

Die Einzelstrafen aus dem Urteil des Schöffengerichts Tiergarten vom 21. August 2002 hat dasselbe Gericht durch Urteil vom 16. Juli 2003 (22 Ju Js 2849/02) in eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren einbezogen. Das Landgericht hat am 20. Oktober 2003 auf die auf das Strafmaß beschränkte Berufung des Angeklagten das Urteil vom 16. Juli 2003 dahin abgeändert, daß die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, die am 7. April 2004 auf die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt wurde. Inzwischen hat der Senat das Urteil vom 20. Oktober 2003 im Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Unmittelbar vor (§ 454 b Abs. 2 StPO) der Vollstreckung aus dem Urteil des Schöffengerichts Tiergarten in Berlin vom 21. August 2002 verbüßte der Verurteilte nach Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung zwei Drittel einer Jugendstrafe von zehn Monaten wegen räuberischen Diebstahls, Raubes und räuberischer Erpressung aus dem Urteil des Jugendschöffengerichts Tiergarten vom 25. Oktober 2000 (29 VRs 11 Ju Js 1382/00). Diese Freiheitsstrafe wurde seit dem 17. Juni 2003 in der Justizvollzugsanstalt Tegel vollstreckt. Die Hälfte der Strafe war am 11. Dezember 2003 verbüßt; das Strafende ist auf den 28. September 2004 notiert.

Der Beschwerdeführer hat beantragt, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Schöffengerichts Tiergarten vom 21. August 2002 mit sofortiger Wirkung auszusetzen. Diesen Antrag hat die Staatsanwaltschaft mit Bescheid vom 11. Februar 2004 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichteten Einwendungen des Verurteilten hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluß verworfen. Die Strafvollstreckungskammer hat es zudem abgelehnt, die Restfreiheitsstrafen zur Bewährung auszusetzen. Die sofortigen Beschwerden (§§ 458 Abs. 1 Alt. 3, 462 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) des Verurteilten haben keinen Erfolg.

1.

Der Beschwerdeführer wendet gegen die Vollstreckung des Urteils des Schöffengerichts Tiergarten vom 21. August 2002 ein, daß die rechtskräftige Gesamtfreiheitsstrafe von "zwölf Monaten" durch die Einbeziehung der zugrundeliegenden Einzelstrafen in die durch das Urteil des Schöffengerichts Tiergarten vom 16. Juli 2003 gebildete Gesamtstrafe ihre Vollstreckbarkeit verloren habe. Er macht geltend, möglicherweise einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu erleiden, wenn die Vollstreckung der Strafe fortgesetzt wird, obwohl diese nach der Einbeziehung noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Die Strafvollstreckungskammer hat die Unterbrechung der Strafvollstreckung zu Recht abgelehnt. Nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum bleiben bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung die in einem anderen Verfahren rechtskräftig festgesetzten Einzel- bzw. Gesamtfreiheitsstrafen bis zur Rechtskraft der (neuen) Gesamtstrafenentscheidung ohne weiteres vollstreckbar (vgl. OLG Frankfurt NJW 1956, 1932; OLG Köln NJW 1955, 1935; Paulus in KMR, § 449 Rdn. 20; Fischer in KK, StPO 5. Aufl., § 449 Rdn. 20; Wendisch in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 449 Rdn. 33; Wolf in Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO 8. Aufl., § 19 Rdn. 5 f.; Bringewat, Strafvollstreckung, Rdn. 27; siehe auch BGH NJW 1956, 110). Dies folgt aus dem verfahrensrechtlichen Vollstreckungsgebot. Danach müssen Urteile vollstreckt werden, wenn sie rechtskräftig sind und einen der Vollstreckung zugänglichen und bedürftigen Inhalt haben, wobei eine Verpflichtung zur alsbaldigen Vollstreckung besteht (vgl. Bringewat, a.a.O., Rdn. 28; Wendisch, a.a.O., Rdn. 6; Paulus, a.a.O., Rdn. 2; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl., § 449 Rdn. 2). Die Vollstreckung einer rechtskräftigen Strafe steht nämlich nur ausnahmsweise und nur bei entsprechender gesetzlicher Regelung im Ermessen der Vollstreckungsbehörde (vgl. Bringewat, a.a.O.; Wendisch, a.a.O., Rdn. 7). So ist nach § 360 Abs. 2 StPO e...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge