Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegfall des Verfügungsgrundes wegen überlangen Zuwartens des Antragstellers mit der Antragstellung bzw. der Hauptsacheklageerhebung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum Wegfall des Verfügungsgrundes bei §§ 935 ff. ZPO wegen überlangen Zuwartens des Antragstellers mit der Antragstellung bzw. der Hauptsacheklageerhebung (hier knapp 5 Monate bzw. 8 ½ Monate).

2. An einem Verfügungsgrund fehlt es u.a. dann, wenn die beantragte einstweilige Verfügung nur bei Eintritt einer bestimmten Bedingung tauglich ist, die Interessen des Antragstellers zu schützen und der Eintritt der Bedingung unwahrscheinlich ist und der Antragsteller nicht dargelegt hat, warum ausnahmsweise die Bedingung eintreten sollte.

3. Eine Kündigung, die einmal erklärt wurde, kann durch einseitige Erklärung des Kündigenden nicht mehr rückgängig gemacht werden.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 21.05.2008; Aktenzeichen 101 O 47/08)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Kammer für Handelssachen 101 des LG Berlin vom 21.5.2008 - 101 O 47/08 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die H. mbH & Co. KG (folgend: "...") betreibt einen Verlag an den Standorten Berlin und Reutlingen. Die Antragsgegnerin zu 2. ist Komplementärin der V.; die Antragstellerin und die Deutscher B. GmbH (folgend: "B.") sind Kommanditistinnen, mit Geschäftsanteilen von je 50 %. Der B. ist für die Personalverwaltung in der V. zuständig. Geschäftsführer des B.-... und der Antragsgegnerin zu 2. ist der Antragsgegner zu 1.. Beide Gesellschaften betreiben erklärtermaßen die zumindest deutliche Verringerung der Aktivitäten der V.-... am Standort Reutlingen durch die Kündigung von drei und die Umversetzung der beiden anderen dort tätigen Arbeitnehmer.

Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der den Antragsgegnern aufgegeben wird, die getroffenen Personalmaßnahmen für gegenstandslos zu erklären bzw. zurückzunehmen, und mit der ihnen Wiederholungen untersagt werden. Das angerufene LG Berlin hat den Antrag mangels Verfügungsanspruches zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

II. Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 937 Abs. 2, 569 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet. Denn das LG hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zu Recht zurückgewiesen.

1. Für den Erlass der einstweiligen Verfügung fehlt es am Vorliegen eines Verfügungsgrundes gem. §§ 935, 940 ZPO.

Ein Verfügungsgrund ist gegeben, wenn die einstweilige Verfügung erforderlich ist, um die Besorgnis einer wesentlichen Erschwerung der Rechtsverwirklichung oder um wesentliche Nachteile oder um eine drohende Gefahr, welche allesamt beim Abwarten einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung bestünden, abzuwenden. Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das überlange Zuwarten des Antragstellers mit der Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes eine ursprünglich etwaig bestehende Dringlichkeit beseitigt (vgl. u.a. OLG Hamm NJW-RR 2007, 108 [109] zum Wettbewerbsrecht; OLG Bremen MDR 2004, 50 [51], zum Mietrecht; OLG Hamburg NJW-RR 2002, 550 [550], zum Medienrecht; KG NJW-RR 2001, 1201 [1202], zum Urheberrecht; OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 825 [826], zum Bauwerkvertragsrecht; ferner Drescher in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl. 2007, § 935 Fn. 69, mit weiterem, umfangreichem Rechtsprechungsnachweis). Diese Rechtsprechung beruht zum einen auf der Überlegung, der Antragsteller gebe mit seinem Zuwarten zu erkennen, dass er selbst den Schutz seiner Rechtsposition für nicht besonders dringlich erachtet oder - anders gewendet - das Erlangen eiligen, einstweiligen Rechtsschutzes für nicht erforderlich hält. Beantragt er später gleichwohl den Erlass einer einstweiligen Verfügung, widerlegt er seinen (etwaigen) Vortrag zum Verfügungsgrund durch das vorausgegangene Handeln selbst (Drescher in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl. 2007, § 935 Rz. 19, § 940 Rz. 10; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 940 Rz. 8 a.E.; Thümmel in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. 1995, § 940 Rz. 11; Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 66. Aufl. 2008, § 940 Rz. 6 und 27 "Verzögerung"; Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 940 Rz. 4). Zum anderen beruht die Rechtsprechung auf der Überlegung, dass die Tatbestandsvoraussetzung "Verfügungsgrund" eine besondere Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns ist, wobei das Sicherungsinteresse des Antragstellers gegen das Rechtsschutzinteresse des Antragsgegners - insbesondere im Hinblick auf rechtliches Gehör und Beweismöglichkeiten - abzuwägen ist. Verschärft oder schafft gar der Antragsteller die Dringlichkeit seines Anliegens durch langes Zuwarten selbst, kann er daher nicht damit rechnen, dass ihm die staatlichen Gerichte dur...

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