Leitsatz (amtlich)

Im Rahmen der Prüfung, ob einem Verweisungsbeschluss wegen Vorliegens von Willkürlichkeit ausnahmsweise die Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO zu versagen ist

a) hat keine amtswegige Sachverhaltsermittlung durch das Gericht stattzufinden; es verbleibt auch insofern beim zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz;

b) ist auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verweisungsbeschlusses abzustellen;

c) führen lediglich versehentliche Falscherfassungen des sich aus der Verfahrensakte ergebenden Sachverhaltes durch das verweisende Gericht noch nicht zur Annahme von Willkürlichkeit.

 

Tenor

Das AG Peine wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt mit der Klage Rückzahlung von Entgelt, das sie auf einen mit der Beklagten im Jahre 2004 geschlossenen Vertrag gezahlt hatte. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatte die Beklagte ihren Sitz in der Kochstraße 22 in Berlin-Kreuzberg. Die von ihr verwandten Allgemeinen Geschäftsbedingungen sahen vor, dass "als Gerichtsstand ... Berlin vereinbart [werde]".

Die Klägerin machte den Anspruch zunächst im Mahnverfahren vor dem AG Hünfeld geltend. Die Anschrift der Beklagten gab sie mit "S.-Str. 30, ... Berlin" an. Nach Zustellung des Mahnbescheides unter dieser Anschrift und nach Eingang des Widerspruchs der Beklagten gab das AG Hünfeld die Sache antragsgemäß an das AG Charlottenburg ab. Dieses konnte der Beklagten die Anspruchsbegründung aber nicht mehr unter ihrer Berliner Anschrift zustellen; die Zustellung erfolgte unter der Wohnanschrift des Geschäftsführers der Beklagten in I. In Reaktion hierauf wies das AG Charlottenburg die Parteien auf Bedenken wegen seiner örtlichen Zuständigkeit hin, wobei es sowohl zum allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten als auch zum besonderen Gerichtsstand nach § 29 ZPO ausführte. Auf Antrag der Klägerin verwies es sodann den Rechtsstreit an das AG Peine, nahm zur Begründung auf den vorherigen richterlichen Hinweis Bezug und führte ergänzend zu dem sich etwaig aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ergebenden Gerichtsstand aus. Das AG Peine wies die Parteien nunmehr auf Bedenken hinsichtlich seiner örtlichen Zuständigkeit hin und machte darauf aufmerksam, dass der Wohnsitz des Geschäftsführers nicht zwangsläufig mit dem Sitz der Beklagen identisch sei. Daraufhin melde sich erstmals die Beklagte im streitigen Verfahren und gab durch ihren Briefkopf zu erkennen, dass sie sich "in Liquidation" befinde. Die Klägerin trug vor, dass sich der letzte Geschäftssitz der Klägerin in der S.-Straße in Berlin befunden habe. Antragsgemäß erklärte sich sodann das AG Peine für unzuständige und verwies den Rechtsstreit unter Hinweis auf § 69 Abs. 2 GmbHG zurück an das AG Charlottenburg.

II.1. Das KG ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich zunächst das AG Tempelhof-Kreuzberg und sodann das AG Peine mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für unzuständig erklärt haben.

2. Das AG Peine ist nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO wegen des Verweisungsbeschlusses des AG Charlottenburg örtlich zuständig.

a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO bewirkt ein Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Diese Bindungswirkung ist, trotz des einschränkenden Wortlautes der Vorschrift, von demjenigen Gericht zu beachten, das die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vornimmt (vgl. nur Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 36 Rz. 28, m. Rspr. N.).

Anerkannt ist allerdings, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise dann entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rz. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Erst bei groben Rechtsfehlern des verweisenden Gericht, die zur Folge haben, dass die Verweisung jeder Rechtsgrundlage entbehrt, ist die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden, und der willkürlichen Entscheidung überschritten (BGH NJW 2002, 3634 [3635]; BGH, NJW-RR 1992, 383 [383]; Greger in Zöller, a.a.O.).

Der Beurteilung, ob ein solcher Fehler vorliegt, ist der Sachverhalt zu Grund zu legen, den die Parteien dem Gericht vortragen (BGH NJW-RR 1995, 702 [702]); die befassten Gerichte sind nicht gehalten, von Amts wegen Ermittlungen zur Feststellung der Zuständigkeit vorzunehmen. Denn der Zivilprozess ist vom Beibringungsgrundsatz geprägt und es ist anerkannt, dass dieser Grundsatz nicht nur für die Feststellung der in der Sache maßgeblichen Tatsachen gilt, sondern auch für diejenigen Tatsachen, die bei der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen von Belang sind (Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, vor § 128 Rz. 12; Brehm in S...

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