Leitsatz (amtlich)

Für die Identitätsfeststellung im Personenstandsverfahren reicht ein in Deutschland ausgestellter Reiseausweis für Ausländer auch in Verbindung mit weiteren bestätigenden Umständen in der Regel nicht aus, wenn dem Betroffenen die Beschaffung eines heimatstaatlichen Reisepasses (inzwischen) zugemutet werden kann. Von einem anerkannten Flüchtling kann nicht verlangt werden, dass er sich einen Reisepass des Staates beschafft, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

 

Normenkette

AsylG §§ 3c, 72 Abs. 1 Nr. 1; NamÜbk Art. 3; PStG §§ 9, 48; PStV §§ 33, 35

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Schöneberg (Beschluss vom 22.07.2019; Aktenzeichen 71g III 30/18)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert:

Das Standesamt Charlottenburg-Wilmersdorf wird angewiesen, den Geburtenregistereintrag zu Registernummer G XXX/2018 dahin zu berichtigen, dass bei dem Kind der Zusatz "Namensführung nicht nachgewiesen" und bei dem Kindesvater der Zusatz "Identität nicht nachgewiesen" entfällt.

 

Gründe

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 51 Abs. 1 PStG i.V.m. §§ 58 ff FamFG) und begründet. Das Geburtsregister ist nach § 48 PStG antragsgemäß zu berichtigen, weil die Voraussetzungen für die gemäß § 35 PStV eingetragenen Zusätze nicht mehr vorliegen.

Ein abgeschlossener personenstandsrechtlicher Registereintrag darf, wenn wie vorliegend kein Fall der standesamtlichen Berichtigungsbefugnis (§ 47 PStG) vorliegt, nur auf gerichtliche Anordnung berichtigt werden (§ 48 PStG). Voraussetzung ist die Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit der beantragten Eintragung. An den Nachweis sind strenge Anforderungen zu stellen (BGH, NJW 2017, 3152). Es ist voller Beweis erforderlich, Glaubhaftmachung genügt insoweit nicht (Senat, FamRZ 2019, 685).

1. a) Bei einer Geburtsanzeige soll das Standesamt gemäß § 33 S. 1 PStV verlangen, dass ihm neben den Geburtsurkunden der Eltern und gegebenenfalls der Eheurkunde unter anderem ein Personalausweis, Reisepass oder ein anderes anerkanntes Passersatzpapier der Eltern vorgelegt wird. § 9 Abs. 2 PStG ermöglicht die Anerkennung auch anderer Urkunden als Beurkundungsgrundlage, falls den zur Beibringung von Nachweisen Verpflichteten die Beschaffung öffentlicher Urkunden nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten oder unverhältnismäßig hohen Kosten möglich ist. Liegen dem Standesamt bei der Beurkundung der Geburt keine geeigneten Nachweise zu Angaben der Eltern des Kindes vor, ist hierüber gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 PStV im Geburtseintrag ein erläuternder Zusatz ("Identität nicht nachgewiesen") aufzunehmen. Dieser macht erkennbar, dass die Angaben zur Person der Eltern nicht auf gesicherten Erkenntnissen beruhen und nicht an der hohen Beweiskraft personenstandsrechtlicher Beurkundungen teilhat.

Einen solchen Zusatz hat das Standesamt bei der Beurkundung der Geburt bei dem Namen des Beteiligten zu 1 mit Recht eingetragen. Der Beteiligte zu 1 hatte keinen syrischen Reisepass und auch sonst keine Personalpapiere vorgelegt, aufgrund derer seine Identität sicher festgestellt werden konnte. Der von ihm vorgelegte Reiseausweis für Flüchtlinge, ausgestellt von der Ausländerbehörde Berlin, trug den Vermerk "Die Personenangaben beruhen auf den eigenen Angaben des Antragstellers" und war deshalb nicht geeignet, Beweis für die Richtigkeit der darin enthaltenen Personenangaben zu erbringen.

b) Inzwischen ist jedoch ein Zusatz gemäß § 35 PStV im Geburtsregister nicht mehr gerechtfertigt, weil der Beteiligte zu 1 seine Identität zur Überzeugung des Senats nachgewiesen hat.

Der dem Beteiligten zu 1 am 18. Februar 2019 ausgestellte neue Reiseausweis für Flüchtlinge enthält nicht mehr den Zusatz, dass die Personenangaben nur auf seinen eigenen Angaben beruhen. Ein ohne diesen Zusatz ausgestellter deutscher Reiseausweis für Flüchtlinge (ebenso wie ein solcher für Ausländer) ist ein anerkanntes Passersatzpapier, das nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2017, 3152) als Beweismittel für den Nachweis der Identität des Inhabers herangezogen werden kann. Er hat zwar nicht die einem Pass des Heimatstaates entsprechende Beweiswirkung und reicht deshalb allein regelmäßig nicht als Identitätsnachweis aus (BGH a.a.O.). Bei der dem Gericht im Personenstandsverfahren obliegenden umfassenden Aufklärung kommt dem Reiseausweis jedoch Bedeutung zu, wenn die sonst ermittelten Umstände und die von dem Betroffenen in zumutbarer Weise zu beschaffenden Unterlagen für die Richtigkeit der darin enthaltenen Personenangaben sprechen. So ist es hier.

aa) Dabei geht das Gericht wie das Amtsgericht davon aus, dass bei der Identitätsfeststellung ein Rückgriff auf einen in Deutschland ausgestellten Reiseausweis für Ausländer oder Flüchtlinge in Verbindung mit sonst ermittelten Indizien nicht in Betracht kommt, wenn die betreffende Person einen heimatstaatlichen Reisepass als das vom Gesetz primär vorgesehene Beweismittel vorlegen könnte. Der Beteiligte zu 1 hat jedoch glaubhaft vorgetragen, nicht im Besitz eines syrischen Reisepasses zu sein. D...

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