Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung einer Rechtmittelbeschränkung durch Auslegung der Revisionsbegründungsschrift. Begründung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld
Leitsatz (amtlich)
1. Die Beschränkung einer Revision kann sich, auch wenn sie nicht ausdrücklich erklärt ist, aus der Auslegung der Begründungsschrift ergeben. In der ausschließlichen Darlegung von Mängeln des Strafausspruchs liegt eine entsprechende Konkretisierung des Umfangs der Anfechtung. Dies wäre nur dann nicht anzunehmen, wenn der übrige Inhalt der Begründungsschrift deutlich zeigen würde, dass ungeachtet des abschließenden Vorbringens von Einzelbeanstandungen gegen die Rechtsfolgenentscheidung insbesondere auch der Schuldspruch angefochten werden soll.
2. Wird die Verhängung von Jugendstrafe auf die Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG) gestützt, ist diese nach jugendspezifischen Kriterien zu bestimmen. Die Schwere der Schuld bemisst sich nach dem Gewicht der Tat und der in der Persönlichkeit des Angeklagten begründeten Beziehung zu ihr. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt hierbei ist die innere Tatseite. Dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat kommt keine selbständige Bedeutung zu; er hat nur insofern Bedeutung, als hieraus Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und das Maß der individuellen Tatschuld gezogen werden können. Entscheidend ist, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben.
Normenkette
StPO § 344 Abs. 1; JGG § 17 Abs. 2, § 18 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 03.08.2022; Aktenzeichen (426 Ls) 264 Js 7462/20 (48/21)) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten - Jugendschöffengericht - vom 3. August 2022 im Ausspruch über die Verhängung einer Jugendstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten - Jugendschöffengericht - zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Jugendschöffengericht hat gegen den Angeklagten wegen ("gemeinschaftlichen") schweren Raubes unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld eine Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat es die Einziehung des Wertes des durch die Tat Erlangten in Höhe von 10.000 Euro angeordnet.
1. Nach den Feststellungen zur Person hat der Angeklagte, dessen gesamte Entwicklung von erheblichen Brüchen gekennzeichnet ist, die Schule ohne Abschluss beendet. Bereits als Kleinkind wurde er in eine Pflegefamilie gegeben, weil seine Mutter die Erziehung aufgrund ihrer Drogensuchterkrankung nicht übernehmen konnte. Der Vater, ebenfalls heroinabhängig, war für längere Zeit in Strafhaft und verstarb im Jahr 2011. In der Pflegefamilie wuchs der Angeklagte bis zur 5. oder 6. Schulklasse auf, sodann wurde er wegen häuslicher Konflikte in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Der Schulbesuch fand aufgrund der persönlichen Situation des Angeklagten in Bildungseinrichtungen mit erhöhtem sonderpädagogischem Betreuungsbedarf statt. Auch die weitere Entwicklung war von erheblichen Konflikten geprägt, wobei der Angeklagte zeitweise auch wieder bei seiner Mutter lebte. Zuletzt war er bis zum 20. Dezember 2021 in einem betreuten Einzelwohnen untergebracht, bevor er dort "verhaltensbedingt herausgeworfen", aber noch bis Mai 2022 von der Einrichtung ambulant betreut wurde. Im März/April 2022 absolvierte der Angeklagte ein Praktikum im Straßenbau und seit Mai 2022 ein weiteres Praktikum bei einer Rohrleitungs- und Anlagenbaufirma. Ab dem 16. August 2022 könne er "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" eine Ausbildung in diesem Bereich beginnen. Postalisch sei der Angeklagte über seine Mutter erreichbar, lebe aber tatsächlich bei "Kumpels".
Das Amtsgericht hat weiterhin ausgeführt, der Angeklagte sei "strafrechtlich (...) bislang wie folgt in Erscheinung getreten":
Im Jahr 2016 sei ein Verfahren wegen Diebstahls nach Ermahnung gemäß § 47 JGG eingestellt worden. Im Jahr 2017 habe die Staatsanwaltschaft zwei Verfahren wegen Diebstahls nach § 45 Abs. 1 JGG und drei weitere Verfahren wegen Diebstahls bzw. Sachbeschädigung gemäß § 45 Abs. 2 JGG eingestellt. Im selben Jahr habe das Amtsgericht Tiergarten ein Verfahren wegen Diebstahls nach Erfüllung einer richterlichen Weisung gemäß § 47 JGG eingestellt. Im Jahr 2018 sei eine erneute Einstellung nach § 45 Abs. 2 JGG durch die Staatsanwaltschaft Berlin in einem Verfahren wegen Nachstellung und durch das Amtsgericht Tiergarten eine Einstellung gemäß § 47 JGG in einem Verfahren wegen Sachbeschädigung erfolgt. Ebenfalls durch Einstellung nach § 47 JGG wurde im Jahr 2019 ein Verfahren wegen Diebstahls beendet. Ausführungen zu den jeweils zugrundeliegenden Tatvorwürfen und dazu, ob und wie sich der Angeklagte zu den Tatvorwürfen, von deren Verfolgung die Staat...