Leitsatz (amtlich)
1.
An Feststellungen zur verminderten Schuldfähigkeit im erstinstanzlichen Urteil ist das Berufungsgericht im Falle einer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung nicht gebunden; vielmehr hat es auf der Grundlage eigener Feststellungen über die Anwendbarkeit von § 21 StGB zu befinden.
2.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Absehen von der Strafverfolgung in Fällen des Umgangs mit einer geringen Menge eines Cannabisprodukts zum Zweck des Eigenverbrauchs vom 9. März 1994 (BVerfGE 90, 145 = NJW 1994, 1577) verpflichtet die Staatsanwaltschaften und Gerichte bei entsprechenden Straftaten im Strafvollzug auch dann, wenn die Fallumstände eine Fremdgefährdung ausschließen, nicht zu einem Absehen von der Verfolgung nach § 31 a BtMG oder der Bestrafung nach § 29 Abs. 5 BtMG.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 27.03.2006; Aktenzeichen (569) 3 Op Js 1647/03 Ns (109/05)) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. März 2006 im Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen und von Strafe abgesehen. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil hatte Erfolg. Das Landgericht Berlin hat den Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt wird. Von einer Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung hat das Landgericht abgesehen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, die er mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin beantragt,
die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1.
Die durch die Sachrüge veranlasste Überprüfung des landgerichtlichen Urteils ergibt, dass dessen Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben kann, weil den Strafzumessungserwägungen, die auf der Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß § 21 StGB beruhen, keine tragfähigen Feststellungen zugrunde liegen und weil die Begründung für die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 47 Abs. 1 StGB den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht wird.
a)
Die Kammer hat § 21 StGB bei der Bestimmung des Strafrahmens herangezogen und "strafmildernd" berücksichtigt, "dass der Angeklagte nach der Bewertung des medizinischen Sachverständigen in seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich beeinträchtigt war". Das Urteil lässt aber nicht erkennen, dass die Kammer eigene Feststellungen zur Frage einer verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffen hat. Aus den Gründen ergibt sich lediglich, dass sie die persönlichen Verhältnisse und die Vorstrafen des Angeklagten zum Gegenstand eigener Feststellungen gemacht hat. Im Übrigen beruht das Urteil auf den Feststellungen des Amtsgerichts, die den in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch tragen. In diesem Zusammenhang verweist das Landgericht auf die Seiten 3 und 4 des amtsgerichtlichen Urteils.
Auf Seite 4 gelangt das Amtsgericht auf der Grundlage der Verlesung des Gutachtens eines Sachverständigen zu der Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten wegen einer krankhaften seelischen Störung in der Form paranoider Schizophrenie. Der Verweis auf diese Seite sowie der Umstand, dass das landgerichtliche Urteil eigene Feststellungen nur zu den persönlichen Lebensumstände und den Vorstrafen des Angeklagten enthält, lassen vermuten, dass die Kammer entweder von einer Bindung an die amtsgerichtlichen Feststellungen zur verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen ist oder angenommen hat, es könne auf eigene Feststellungen dazu verzichten und auf die Feststellungen des Amtsgerichts zurückgreifen. Jeweils läge ein Rechtsfehler vor.
Die zulässige Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch hat den Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils einschließlich der ihn tragenden Feststellungen in Rechtskraft erwachsen lassen, was die Annahme des Amtsgerichts einschließt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat nicht schuldunfähig gemäß § 20 StGB gewesen ist. Insoweit war das Landgericht bei seiner Urteilsfindung im Berufungsverfahren gebunden. Dagegen bedurfte es einer völligen Neuverhandlung und einer neuen Entscheidung über alle die Rechtsfolgen betreffenden Tat- und Rechtsfragen. Dazu gehört auch die Frage der Anwendbarkeit von § 21 StGB. Über sie ist bei einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung vom Berufungsgericht auf der Grundlage eigener Feststellungen zu befinden (vgl. OLG Hamm VRS 54, 28; OLG Köln NStZ 1981, 63; Meyer-Goßn...