Leitsatz (amtlich)
1.
Die Vermutung, daß der Strafvollzug einen Erstverbüßer im Allgemeinen beeindruckt und ihn von weiteren Straftaten abhalten kann, erfährt unter anderem dann eine Einschränkung, wenn ein Verurteilter sich durch die Tatbegehungen unter Alkoholeinfluß als impulsive, charakterschwache Persönlichkeit erwiesen und durch massive Gewaltausübung hohe kriminelle Energie gezeigt hat.
2.
Wenn ein Gefangener sich schon unter den überwachten Verhältnissen des Vollzuges Regelverletzungen zuschulden kommen läßt, ist es um so wahrscheinlicher, daß er in Freiheit Gesetze erst recht nicht achtet.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 16.07.2007; Aktenzeichen L 17 / 1 Kap Js 2322/97 VRs - 541 StVK 649/07) |
LG Berlin (Entscheidung vom 16.07.2007; Aktenzeichen P 13 / 81 Js 3471/01 VRs - 541 StVK 650/07) |
Tenor
Die sofortigen Beschwerden des Verurteilten gegen die gleichlautenden Beschlüsse des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 16. Juli 2007 werden verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.
Gründe
Der Beschwerdeführer verbüßt zur Zeit im Wege der Anschlußvollstreckung
a)
eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. März 2002 (P 13 / 81 Js 3471/01) und
b)
eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen (Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 11. März 1999 nach dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung) aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 1. Dezember 2003 (L 17 / 1 Kap Js 2322/97).
Zwei Drittel beider Strafen waren am 7. Januar 2007 verbüßt; das Strafende ist auf den 28. September 2008 notiert.
Mit den angefochtenen Beschlüssen hat die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung der Reststrafen zur Bewährung abgelehnt. Die dagegen gerichteten sofortigen Beschwerden (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) des Verurteilten haben keinen Erfolg.
Der Senat ist mit der Justizvollzugsanstalt (JVA), der Strafvollstreckungskammer und der Generalstaatsanwaltschaft Berlin der Auffassung, daß dem Verurteilten die für die Reststrafenaussetzung erforderliche günstige Legalprognose (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) nicht gestellt werden kann.
1.
Die von der Rechtsprechung entwickelte Vermutung, daß der Strafvollzug einen Erstverbüßer im Allgemeinen beeindruckt und ihn von weiteren Straftaten abhalten kann (vgl. Senat NStZ-RR 1997, 27 und Beschluß vom 14. März 2007 - 2 Ws 74/07 -; std. Rspr.), kommt hier nicht zum Tragen. Sie erfährt unter besonderen Umständen wegen der vom Gesetzgeber in den Vordergrund gestellten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit eine Einschränkung. Denn welches Maß der Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit erforderlich ist, hängt von den Eigenheiten der Persönlichkeit und dem Gewicht der bedrohten Rechtsgüter ab (vgl. OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 1999, 346; OLG Saar-brücken NJW 1999, 439; Senat a.a.O. und Beschluß vom 18. Juni 2006 - 5 Ws 249-250/06 -; std. Rspr.). Ein kritischerer Maßstab ist deshalb insbesondere dann anzulegen, wenn ein Verurteilter sich durch die Tatbegehungen unter Alkoholeinfluß - wie der Beschwerdeführer - als impulsive, charakterschwache Persönlichkeit erwiesen, durch seine massive Gewaltausübung bei mehreren erheblichen Taten hohe kriminelle Energie gezeigt hat (vgl. Senat, Beschluß vom 16. Juli 2003 - 5 Ws 376- 377/03 -) und dadurch seine Gefährlichkeit belegt ist (vgl. Senat, Beschluß vom 27. Februar 2007 - 2 Ws 55-57/07 -; std. Rspr.). Bei einer Straftat gegen das Leben, wie sie der Verurteilte versucht hat, sind die Prognoseanforderungen besonders hoch (vgl. Senat, Beschluß vom 9. September 2002 - 5 Ws 398-399/02 -).
Eine Reststrafenaussetzung könnte in solchen Fällen nur dann verantwortet werden, wenn erprobt und durch Tatsachen, die sich nicht nur auf äußere Umstände beziehen dürfen, belegt wäre, daß die charakterlichen Mängel und sonstigen Ursachen, die zu den Straftaten geführt haben, soweit behoben sind, daß die Rückfallgefahr nur noch sehr gering ist (vgl. Senat NStZ-RR 2000, 170; Beschlüsse vom 29. August 2006 - 5 Ws 436/06 -, 18. Juli 2006 - 5 Ws 317/06 - und 15. März 2006 - 5 Ws 104/06 -; std. Rspr.). Allein der Wille, sich künftig straffrei zu führen, reicht hierfür ebensowenig aus (vgl. Senat NStZ-RR 2000, 170) wie ein beanstandungsfreies Vollzugsverhalten. Maßgeblich ist vielmehr eine günstige Entwicklung während des Vollzuges, die von besonderem Gewicht sein muß und sich nicht nur als taktische Anpassung darstellt, sondern Beleg für einen Wandlungsprozeß der Persönlichkeit oder Einstellung ist (vgl. Senat, Beschluß vom 1. Juni 2005 - 5 Ws 105/05 -; Kröber NStZ 2000, 613, 614 Anm. zu BVerfG ebendort S. 109, 110). Dazu zählt etwa die Beseitigung von Defiziten im Sozialverhalten, vor allem aber die Behebung von tatursächlichen Persönlichkeitsmängel...