Leitsatz (amtlich)

Der Gläubiger einer Wohnungseigentumsgemeinschaft kann ein berechtigtes Interesse an der Erteilung vollständiger Grundbuchauszüge der einzelnen Wohnungseigentümer haben. Einen Vollstreckungstitel muss er hierzu noch nicht erlangt haben.

 

Normenkette

GBO §§ 12, 12c, 131; GBV §§ 45, 77-78; BGB § 648

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Schöneberg (Beschluss vom 23.12.2015; Aktenzeichen 40A FR 2...-3..., 2...-2..., 8...)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Das Grundbuchamt wird angewiesen, der Beteiligten vollständige - einfache - Ausdrucke aus den Grundbüchern von Friedenau Blätter 2...bis 2...und 8...zu erteilen.

 

Gründe

I. Die Beteiligte beantragte am 1.12.2015 bei dem Grundbuchamt die Übersendung unbeglaubigter Abschriften aus den im Beschlusseingang näher bezeichneten Wohnungsgrundbüchern beschränkt jeweils auf die Abteilung I und führte zur Begründung an, sie führe ein Verfahren gegen die Eigentümer wegen Forderungen aus einem Aufzugsservicevertrag und wegen einem solchen auf Aufzugsmodernisierung. Sofern Kosten von mehr als 100,00 EUR entstünden, bat die Beteiligte um vorherige Information.

Das Grundbuchamt wies am 3.12.2015 darauf hin, dass lediglich beglaubigte Teilauszüge erteilt werden könnten und insofern Kosten in Höhe von 200,00 EUR entstünden, womit sich die Beteiligte nicht einverstanden erklärte.

Mit Schriftsatz vom 11.12.2015 hat die Beteiligte die Erteilung vollständiger Abschriften aller Wohnungsgrundbuchblätter der Wohnungseigentümergemeinschaft beantragt, was die Urkundsbeamtin des Grundbuchamts als "Beschwerde" gegen ihre bis dahin ergangenen Entscheidungen angesehen und dieser nicht abgeholfen hat. Die Rechtspflegerin des Grundbuchamts hat mit Beschluss vom 23.12.2015 den Antrag vom 11.12.2015 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde vom 6.1.2016, der das Grundbuchamt mit Beschluss vom 8.1.2016 nicht abgeholfen hat.

II.1. Die gemäß § 12c Abs. 4 S. 2 BGB statthafte Beschwerde ist zulässig, § 71 Abs. 1 GBO, und begründet. Der Beteiligten sind die mit ihrem Hauptantrag begehrten vollständigen Abschriften sämtlicher Wohnungsgrundbuchblätter in der Form von Ausdrucken, § 78 Abs. 1 S. 1 GBV, zu erteilen.

a) Die Einsicht des Grundbuchs ist jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt, § 12 Abs. 1 S. 1 GBO. Soweit die Einsicht des Grundbuchs gestattet ist, kann eine Abschrift gefordert werden, § 12 Abs. 2 HS. 1 GBO.

aa)Ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht ist dann gegeben, wenn zur Überzeugung des Grundbuchamtes - bzw. des Beschwerdegerichts, §§ 74, 77 GBO - ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers dargelegt wird, wobei auch ein bloß tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse das Recht auf Grundbucheinsicht begründen kann. Dabei reicht regelmäßig das Vorbringen sachlicher Gründe aus, welche die Verfolgung unbefugter Zwecke oder bloßer Neugier ausgeschlossen erscheinen lassen (Senat, Beschluss vom 19.6.2001 - 1 W 132/01 - NJW 2002, 223, 224 m.w.N.).

§ 12 Abs. 1 GBO bezweckt nicht in erster Linie einen Geheimnisschutz, sondern zielt auf eine Publizität, die über die rein rechtliche Anknüpfung an die Vermutungs- und Gutglaubensvorschriften der §§ 891 ff. BGB hinausgeht. Andererseits genügt nicht jedes beliebige Interesse des Antragstellers; die Verfolgung unbefugter Zwecke oder reiner Neugier muss ausgeschlossen und die Kenntnis vom Grundbuchstand für den Antragsteller aus sachlichen Gründen für sein künftiges Handeln erheblich erscheinen. Das folgt aus dem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten, zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehörenden Recht auf informationelle Selbstbestimmung der durch die Grundbucheinsicht Betroffenen, welches bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs einzubeziehen ist.

Die Darlegung des berechtigten Interesses erfordert einen nachvollziehbaren Vortrag von Tatsachen in der Weise, dass dem Grundbuchamt daraus die Überzeugung von der Berechtigung des geltend gemachten Interesses verschafft wird, denn es hat in jedem Einzelfall genau zu prüfen, ob durch die Einsichtnahme das schutzwürdige Interesse der Eingetragenen verletzt werden könnte, Unbefugten keinen Einblick in ihre Rechts- und Vermögensverhältnisse zu gewähren (Senat, Beschluss vom 20.1.2004 - 1 W 294/03).

bb)Nach verbreiteter, auch von dem Senat geteilter Ansicht kann ein Gläubiger des eingetragenen Eigentümers unter dem Gesichtspunkt der Information über Zugriffsmöglichkeiten im Wege der Zwangsvollstreckung ein berechtigtes Interesse an der umfassenden Einsichtnahme in das Grundbuch grundsätzlich geltend machen, und zwar entgegen der Ansicht des Grundbuchamts auch dann, wenn er noch keinen Vollstreckungstitel hat (OLG Zweibrücken, NJW 1989, 531; Senat, Beschluss vom 14.5.1900 - 1 Y 292/00 - KGJ 20 A 173; Böttcher, in: Meikel, 11. Aufl., § 12, Rdn. 32; Demharter, GBO, 29. Aufl., § 29, Rdn. 9; Keller, in: Keller/Munzig, Grundbuchrecht, 7. Aufl., § 12 GBO, Rdn. 9; Schöner/Stöber, Grundbuchr...

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