Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen (539) 70 Js 1417/09 KLs (20/10)) |
Tenor
Der Antrag des Pflichtverteidigers XXX, XXX, XXX, auf Bewilligung einer Pauschgebühr für die erste Instanz wird zurückgewiesen.
Gründe
Das Landgericht Berlin hat den Angeklagten nach fünfzehntägiger Hauptverhandlung unter anderem wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Nachdem der Bundesgerichtshof die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 22. Februar 2011 verworfen hat, ist die Entscheidung rechtskräftig. Der Antragsteller war bereits im Vorverfahren seit dem 3. Dezember 2009 für den Angeklagten tätig gewesen und ist am 12. Januar 2010 zu seinem Pflichtverteidiger bestellt worden. Der Pflichtverteidiger hat für die erste Instanz die Bewilligung einer Pauschgebühr in Höhe von 6.178,75 € (netto) beantragt. Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
Zwar kann auch der Pflichtverteidiger einen Antrag nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG lediglich für einzelne Verfahrensabschnitte stellen. Jedoch setzt dies voraus, dass für den Anwalt in der Gesamtschau seiner Tätigkeit, zu der auch seine in der Rechtsmittelinstanz geleisteten Anstrengungen zählen, infolge des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit eine Beschränkung auf die in den Teilen 4 bis 6 des VV RVG bestimmten Gebühren eines Pflichtverteidigers nicht zumutbar ist. Dies ist hier nicht der Fall.
1. Besonders umfangreich ist ein Strafverfahren, wenn der von dem Verteidiger erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer "normalen" vergleichbaren Sache zu erbringen hat (vgl. Saarländisches OLG RVGreport 2011, 58). Als Vergleichsmaßstab dienen dabei gleichartige Verfahren, also z.B. für eine Schwurgerichtssache die Schwurgerichtsverfahren, für eine Sache vor der großen Strafkammer die üblicherweise vor den großen Strafkammern durchgeführten Verfahren, usw. (vgl. Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG 19. Aufl., § 51 Rn. 15). Der besondere Umfang bemisst sich aufgrund der objektiven Gesamtumstände nach dem zeitlichen Aufwand der jeweiligen Verteidigertätigkeit. Dabei sind die Dauer und die Anzahl der einzelnen Verhandlungstage, die Terminsfolge, die Gesamtdauer der Hauptverhandlung, der Umfang und die Komplexität des Verfahrensstoffs sowie das Ausmaß der von dem Rechtsanwalt wahrgenommenen weiteren Tätigkeiten, wie etwa die Durchführung von Mandantenbesprechungen, die Teilnahme an Haftprüfungen, polizeilichen Vernehmungen und Anhörungen von Sachverständigen, das Führen einer umfangreichen Korrespondenz sowie die Wahrnehmung von sonstigen Gesprächsterminen von Bedeutung (vgl. Burhoff, aaO § 51 Rdn. 17 ff.; Hartung/Römermann/Schons, RVG 2. Aufl., § 51 Rdn. 16; AnwK-RVG/Schneider, 5. Aufl., § 51 Rdn. 21 ff.; Göttlich/Mümmler, RVG 3. Aufl., S. 708 ff.). Die Anzahl der Hauptverhandlungstage kann mit deren durchschnittlicher Dauer in Beziehung gesetzt werden (vgl. OLG Dresden StV 1998, 619; OLG Brandenburg StV 1998, 92; OLG Schleswig SchIHA 1995, 38; OLG Bamberg JurBüro 1989, 965, 966), zumal dem gerichtlich bestellten Rechtsanwalt für jeden dieser Hauptverhandlungstage eine Terminsgebühr vergütet wird (vgl. Saarländisches OLG aaO). Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht bereits bei der Überprüfung der zu § 99 BRAGO entwickelten fachgerichtlichen Rechtsprechung hervorgehoben, dass eine Vielzahl von jeweils einzeln vergüteten Hauptverhandlungsterminen das gesteigerte Ausmaß eines anderen für die Bemessung einer Pauschvergütung relevanten Merkmals kompensieren kann (vgl. BVerfG NJW 2005, 1264; OLG Köln StraFo 2006, 130; OLG Frankfurt NJW 2006, 457). Das gilt für die gegenüber dem früheren Rechtszustand angehobenen und unter Wegfall der Kappungsgrenze neu strukturierten Terminsgebühren nach dem RVG mit ihren gestaffelten Längenzuschlägen erst recht (vgl. Saarländisches OLG aaO).
Nach diesen Grundsätzen war die Tätigkeit des Antragstellers nicht besonders umfangreich im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG. Keiner der durch den Antragsteller bezeichneten Umstände (Haftprüfung, richterliche Vernehmung einer Zeugin, Haftbeschwerde, Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens, zwei Glaubwürdigkeits- und ein psychiatrisches Gutachten, Beweisanträge und Haftbesuche) sind für sich oder in der Summe geeignet, die Rechtssache gegenüber anderen vor der großen Strafkammer verhandelten Verfahren als besonders umfangreich erscheinen zu lassen. Sie sind vielmehr für die Strafverteidigung vor einer großen Strafkammer üblich. Hinzu kommt, dass der Antragsteller als Pflichtverteidiger für 15 Hauptverhandlungstage die volle Terminsgebühr nach Nr. 4115 VV RVG beanspruchen kann, obwohl die durchschnittliche Verhandlungsdauer mit drei Stunden und vierzig Minuten ungewöhnlich kurz war. Selbst wenn einzelne Merkmale der anwaltlichen Tätigkeit besonders umfangreich gewesen wären, wäre die sich hieraus ergebende Belastung nach den oben bezeichneten Grun...