Leitsatz (amtlich)
Die Anwendung von § 6 des Ottomanischen Familiengesetzes kann bei starkem Inlandsbezug gegen den deutschen ordre public verstoßen, wenn sie dazu führen würde, dass ein 14-jähriges Mädchen wirksam die Ehe geschlossen hat.
Normenkette
PStG § 34 Abs. 1, § 49 Abs. 2; Ottomanisches Familiengesetz § 6; EGBGB Art. 6; BGB § 1303 Abs. 2, § 1314
Verfahrensgang
AG Berlin-Schöneberg (Beschluss vom 28.12.2010; Aktenzeichen 70 III 58/10) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Der Antrag vom 8.12.2009 auf Beurkundung der Eheschließung wird abgelehnt.
Gründe
I. Der Beteiligte zu 2. beantragte am 8.12.2009 die Beurkundung einer Eheschließung für die mit der Beteiligten zu 3. am 11.8.2009 in Saida/Libanon geschlossene Ehe. Der am 11.5.1992 geborene Beteiligte zu 2. besitzt seit dem 17.1.2005 durch Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit, die am 15.4.1995 geborene Beteiligte zu 3. ist Libanesin. Nach ihren Angaben ist sie am 18.10.2010 mit dem Pkw unerlaubt nach Deutschland eingereist. Die Beteiligten zu 2. und 3. gehören der muslimischen Glaubensgemeinschaft der Schiiten an.
Das Standesamt hat die Sache gem. § 49 Abs. 2 PStG dem Gericht vorgelegt, weil es wegen des Alters der Beteiligten zu 2. und 3. von 17 und 14 Jahren zum Zeitpunkt der Eheschließung Zweifel daran hat, ob die Voraussetzungen für die Anlegung des Eheregisters vorliegen. Das AG hat mit Beschluss vom 28.12.2010 das Standesamt zur Beurkundung der Eheschließung angewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach dem hinsichtlich der sachlichen Eheschließungsvoraussetzungen für den Beteiligten zu 2. gem. Art. 13 Abs. 2 EGBGB anzuwendenden deutschen Recht sei von einer gültigen Eheschließung auszugehen. Der Umstand, dass der Beteiligte zu 2. zum Zeitpunkt der Eheschließung noch minderjährig gewesen sei und auch keine Befreiung gem. § 1303 Abs. 2 erteilt worden sei, mache die Ehe gem. §§ 1313, 1314 BGB aufhebbar, bis zur Rechtskraft des Urteils jedoch voll gültig. Die Aufhebbarkeit der Ehe sei kein Hinderungsgrund für die Beurkundung der Eheschließung.
Auch nach libanesischem Recht sei von einer gültigen Eheschließung auszugehen. Die Beteiligte zu 3. sei zwar nach libanesischem Recht noch nicht ehemündig gewesen, jedoch sei ihr eine Erlaubnis zur Heirat gem. § 6 des Ottomanischen Familiengesetzes erteilt worden. Die Anwendung des libanesischen Rechts sei nicht wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public gem. Art. 6 EGBGB ausgeschlossen. Die fehlende Ehefähigkeit sei in Deutschland lediglich ein Aufhebungsgrund, so dass die von einem Minderjährigen geschlossene Ehe nicht derart gegen die Rechtsordnung verstoße, dass sie als unwirksam anzusehen sei.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1.
Der Beteiligte zu 1. ist der Ansicht, ausschlaggebend sei allein das Schutzbedürfnis Minderjähriger. Diese hätten ein Recht auf eine Kindheit und auf Gesundheit und Bildung auf der Basis von gleichen Chancen. Sie müssten vor allen Formen sexueller Ausbeutung und vor Missbrauch geschützt werden. Minderjährige - jedenfalls solche im Alter unter 16 Jahren - sähen sich außerstande, Erklärungen ihrer Sorgeberechtigten, die in ihrem Namen abgegeben werden, sowie Einflussnahmen im Zusammenhang mit der Eingehung einer Ehe abzuwehren.
II. Die Beschwerde ist gem. § 51 Abs. 1 PStG i.V.m. §§ 58 ff. FamFG zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Bei der nachträglichen Beurkundung einer im Ausland geschlossenen Ehe gem. § 34 Abs. 1 PStG hat der Standesbeamte zu prüfen, ob die Ehe wirksam geschlossen wurde, das heißt, ob die zu beobachtenden Förmlichkeiten des gem. Art. 11 Abs. 1 EGBGB anwendbaren Rechts eingehalten sind und auch die materiellen Voraussetzungen der gem. Art. 13 EGBGB anzuwendenden Rechtsordnung(en) für eine rechtswirksame Eheschließung vorliegen (BGH NJW 1991, 3088; Gaaz/Bornhofen, Personenstandsgesetz, 2. Aufl., § 34 Rz. 15). An letzterem fehlt es hier.
1. Zutreffend ist das AG davon ausgegangen, dass die formellen Voraussetzungen der Eheschließung erfüllt sind. Gemäß Art. 11 Abs. 1, Alt. 2 EGBGB ist für die Form der Eheschließung hier das libanesische Recht maßgeblich, weil die Ehe im Libanon geschlossen wurde. Art. 9 der libanesischen Verfassung erkennt den Religionsgemeinschaften das Recht zu, ihr Personalstatut durch eigene Sondergesetze zu regeln (Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Libanon, S. 5). Das Recht der schiitischen Glaubensgemeinschaft, der die Beteiligten zu 2. und 3. angehören, ist nicht kodifiziert, sondern wird von den jaafaritischen Gerichten interpretiert. Diese haben nach Art. 242 des Gesetzes vom 16.7.1962, das die Organisation der religiösen Gerichte der Sunniten und Schiiten regelt, das ottomanische Familiengesetzbuch vom 25.10.1917 (im Folgenden: FamG; abgedruckt bei Bergmann/Ferid, a.a.O., Israel S. 111 ff.) anzuwenden, soweit dessen Regelungen dem jaafaritischen Ritus nicht widersprechen (Bergmann/Ferid, a.a.O., Libanon, S. 15; Elwan/Menhofer/Otto, Gutachten zum ausländischen Familie...